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Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ZRG). Romanistische Abteilung

Das romanistische Forschungsgebiet stellt traditionell ein Kernstück der Rechtsgeschichte dar. Die Beiträge behandeln die verschiedenen Rechtskreise des antiken Mittelmeerraumes - insb. den sumerischen, den griechischen und den römischen -, deren historische Strahlkraft in Richtung Europa und Kleinasien sowie die Rezeption bzw. Auseinandersetzung in den modernen Rechtsordnungen der ganzen Welt. Analytische Beiträge gelten einzelnen Rechtsfiguren. Vergleichende Untersuchungen zeichnen Entwicklungen nach. Aktuelle Berichte stellen neueste Ausgrabungsergebnisse und Bibliotheksfunde vor. Die Schwerpunktthemen der aktuellen weltweiten romanistischen Forschung, Neuerscheinungen sowie Übersetzungen, findet ihren Niederschlag im Literaturteil in Form von eingehender Kritik. Nachruf-, Chronik- und Mitteilungsteile sind beachtete Foren der Fachwelt.

Die Herausgeber und ihre Anschriften:

Prof. Dr. Rolf Knütel, Institut für Römisches Recht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, D-53113 Bonn 1, Adenauerallee 24-42 (Aufsätze und Miszellen), und Prof. Dr. Gerhard Thür, Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte, A-8010 Graz, Universitätsstrasse 15, e-mail: gerhard.thuer@uni-graz.at (Besprechungen)

Aus dem Inhalt

Seitenansicht, ebd., S.332
Seitenansicht, ebd., S.332

Miszellen

Caligulas Pferd

Antonio Guarino

1. Zu Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr) kann man in Betracht ziehen, und von mehreren angesehenen Gelehrten ist dies zu recht in Betracht gezogen worden, ob er nicht eine „üble Person" gewesen ist, wenn nicht in menschlicher Hinsicht, so doch zumindest auf politischer und verfassungsrechtlicher Ebene. Zu Kaiser Claudius (41-54 n. Chr.) gleichfalls, mag zu seinen Gunsten auch von keinem Geringeren als Arnaldo Momigliano eine kraftvolle Verteidigung unternommen worden sein. Von Nero (54-68) gar nicht zu sprechen, zu ausgedehnt und zu bekannt ist die Literatur zu seiner Person und seinem Prinzipat. Was schließlich Caligula (Gaius lulius Cae­sar Germanicus, genannt Caligula, 37-41) angeht, so trägt die nahezu einhellige An­sicht unter den Historikern keine Bedenken, wegen seiner Boshaftigkeiten und wegen seiner Verrücktheiten über ihn herzufallen1) ; doch fehlt es nicht an einigen wenigen Forschern, die es unternehmen, ihn wenigstens teilweise zu verteidigen. Der Letzte, der zu seinen Gunsten das Wort ergriff, ist A l o y s W i n t e r l i n g gewesen, Professor für Alte Geschichte und Geschichtliche Anthropologie in Freiburg i. Br., in einem soeben unter dem Titel „Caligola: dietro la follia" ins Italienische übersetzten Buch2). Nach meinem persönlichen Eindruck sind im Buch einige Seiten zu lesen, die Anlaß geben, verschiedene etwas verleumderische antike Quellen mit Vorsicht zu überden­ken. Aber in Abrede zu stellen, wie Winterling es unternimmt, daß Caligulas Verhalten nicht nur das eines Schuftes, sondern auch das eines Verrückten war, das ist wahrlich übertrieben. L u c i a n o Ca n f o r a hat gut daran getan, eine ablehnende Rezension zu verfassen3) , wenn auch vielleicht zu radikal und zu heftig. Allein, ich erinnere mich, einmal einen längeren und ausgefeilteren Artikel „In difesa di Messalina" publiziert zu haben4), und ich habe nicht vergessen, daß nicht wenige Freunde und Kollegen, nachdem sie einen rein akademischen, das heißt einen zerstreuten Blick darauf geworfen hatten, in dem Glauben waren (und vielleicht noch immer, vorausgesetzt daß sie sich daran erinnern, in dem Glauben sind), ich hätte die ausschweifende Messalina mit der Heiligen Cäcilia, der Reinheit in Person, gleich­setzen wollen: doch fälschlich, denn meine Verteidigung der „munteren" Kaiserin bezweckte keineswegs, sie als die Unschuld zu preisen, sie beschränkte sich vielmehr darauf, einige der Umstände anzuführen, die, wie mir schien und noch scheint, ihre verwerflichen Verhaltensweisen in etwas milderem Licht erscheinen lassen. Es ist die Erinnerung an diese persönliche Erfahrung, die mich veranlaßt, einige kleinere Bemer­kungen zur Verteidigung von Winterling vorzutragen; dies insbesondere im Hinblick auf das mehr als weit verbreitete Gerücht, wonach Caligula es in seiner Unbeherrscht­heit so weit gebracht haben soll, daß er sein Pferd zum Senator bestimmte.

2. Lesen wir also den Text bei Sueton, Caligula 55,3, den man, ergänzt um einen Passus aus dem späteren Cassius Dio (59,14,6-7), in diesem Zusammenhang anzufüh­ren pflegt: Häufig speiste er, maßloser Fan des Pferderennsports und insbesondere des Rennstalls der Grünen (heute würden wir sagen der Grünhemden), in deren Stallungen zu Abend, wo er Geld in Hülle und Fülle verteilte, vor allem an den agitator, den Wa­genlenker Eutychus, und wo er voller Spott über die anderen drei an den Wettrennen im Zirkus beteiligten Parteien herzog, die veneta (der Blauen), die alba (der Weißen) und die russata (der Roten). Doch kommt einiges hinzu. Wenn das Wunderpferd na­mens Incitatus anderntags im Zirkus ins Rennen gehen sollte, ließ Caligula in der Nachbarschaft von seinen Soldaten absolute Stille anordnen, damit das Rennpferd nicht in seiner Ruhe gestört werde. Überdies gab er diesem Incitatus einen Stall von Marmor, eine Krippe aus Elfenbein, purpurne Decken und Zaumzeug geschmückt mit Edelsteinen; ja, er verfiel sogar darauf, ihm einen Palast zu überlassen mit einer Ein­richtung wohlausgestattet und einem Gefolge von Dienern versehen, damit die Gäste, die in seinem Namen geladen waren, um ihn zu befeiern, besser empfangen werden konnten: lncitato equo, cuius causa pridie circenses, ne inquietaretur, viciniae silen­tium per milites indicere solebat, praeter equile marmoreum et praesaepe eburneum praetergue purpurea tegumenta ac monilia e gemmis domum etiam et familiam et supellectilem dedit, quo lautius nomine eius invitati acciperentur. Und am Ende wären wir auf dem Höhepunkt: consulatum quoque traditur destinasse, d. h., „man berichtet, Caligula habe das Pferd auch mit der destinatio zum Konsulat geehrt" (ein Umstand, den Cassius Dio bestätigt, freilich als beabsichtigt, aber nicht verwirklicht: „Er ver­sprach auch, daß er ihn zum Konsul ernennen würde, was er sicher auch verwirklicht hätte, wenn er länger gelebt hätte"). Nun gut, ehe wir uns mit dem Senator oder dem Konsul beschäftigen wollen, seien mir zwei oder drei Worte im Hinblick auf die Wohl­taten gestattet, die Caligula dem edlen Tier Incitatus angedeihen ließ.

3. Was für Leute Sport-Fans sind, das weiß heutzutage jeder, aber nicht jeder weiß, was heute den Fan eines Rennpferdes (Galopper oder Traber, was es auch sei) ausmacht oder ausmachen kann, besonders bei denen, die über Geld und Macht verfügen. Lassen wir die Bräuche der Bewohner in den Stadtvierteln von Siena beiseite, daß sie das Pferd feiern, wenn sie es zur Segnung geradewegs in die Kirche tragen, und auch wenn es im Palio als erstes angekommen ist, und zwar in der Weise feiern, daß sie sich um das Pferd herum eine ganze Nacht lang geradezu mit Volldampf dem Essen und Trinken hingeben. Versetzen wir uns in das Umfeld, auch das heutige noch, von Pferderennen (Galopp, Trab) und insbesondere der Rennen auf dem Turf, dem Grasteppich, wo sich die Vollblü­ter, geritten von ganz kleinen Jockeys, miteinander messen. Wenn wir auf diese Welt des Chic und ihre jahrhundertealten Traditionen sehen, werden wir unsere Worte doch sehr mäßigen, ehe wir über Caligula herfallen. Die großen Jockeys (und einige große „dri­vers") von heute werden von den leidenschaftlichen Gentlemen mehr als herzlich be­handelt, und einige von ihnen (wissen Sie noch, wer Lester Piggot ist'?) haben auch den Titel eines „Sir" von Seiner oder Ihrer Majestät dem König oder der Königin des Verei­nigten Königreichs empfangen. Rings um die Stallungen der großen Pferde unserer Zeit herrscht vor dem Rennen (ja, gewöhnlich sogar jede Nacht) eine geradezu gottesfürchti­ge Stille, um die Champions nicht zu stören. Das Nervenkostüm der Spitzenpferde wird mehr untersucht und gepflegt als das eines „commoner" und bisweilen auch eines Lord. Sein Futter wird mit lebhafter Aufmerksamkeit analysiert, gewogen und abgewogen.

Dasselbe geschieht im Hinblick auf irgendetwas oder irgendwen, der oder das geeig­net ist, das Tier zu zerstreuen und es dazu zu bringen, daß es sich entspannt (gewöhnlich ein Zicklein oder ein kleiner Hund). Von Satteldecken und Zaumzeug ganz zu schwei­gen. Auf dem Rasen bewegt sich der Adel einschließlich Ihrer Majestät nur zu Fuß, um ihnen die Ehre zu erweisen, selbst wenn es gerade stark regnet. Einige der berühmtesten Siege von Varenne (Trab), von Ortello und Ribot (Galopp) sind in Italien in ihrem Bei­sein (oder ganz in ihrer Nähe) von auserlesenen Sportsmen mit Abendessen und Toasts mit Champagner bester Jahrgänge gefeiert worden. Ich sage nicht, dies alles sei übertrie­ben; das sage ich nicht. Aber ich bin Proletarier, nicht einer von der Hautevolee. Ich bin nicht wie Ortello nach Teddy und Hollebeck geboren und noch viel weniger stamme ich wie Ribot in der männlichen Linie von Nearco, dem Größten, ab. Caligula als Verrückter (sagen wir es nur so) würde mir also gut passen; doch sehe ich bis zu diesem Punkt nicht recht, was es im Hinblick auf seine „Sportlichkeit" an Besonderheiten gibt gegenüber den englischen, französischen, amerikanischen und (bei aller Bescheidenheit) den ita­lienischen Caligulas unserer Zeit. Das sehe ich wirklich nicht.

4. Das Besondere besteht für Caligula allein in dem Umstand, daß er nach wei­test verbreiteter Überzeugung des Publikums sein Pferd Incitatus zum Senator ernannt haben soll. Aber, um es in der Sprache des Strafgesetzbuchs zu sagen, es liegt keine strafbare Handlung vor. Hier die Begründung dieses meines bescheidenen Urteils, von dem ich jedoch überzeugt bin5): Erstens: Der Kaiser des 1. Jh. unserer Zeitrechnung ernannte keineswegs die Senatoren; vielmehr „empfahl" er höchstens die Magistrate (z. B. die Konsuln), die nach Ablauf ihrer Amtszeit zu einem zweiten Zeitpunkt als Mit­glieder des Senats kooptiert werden mußten (nicht notwendig alle). Zweitens: Zur Zeit Caligulas (37-41), die nur wenig später liegt als die Zeit, die man für die Tabula Hebana annimmt, war die destinatio magistratuum (Konsuln und Prätoren) nur eine autoritative (eine sehr autoritative zwar, aber doch nur eine) „Empfehlung", nach der man in den Volksversammlungen (sei es auch in den abgemagerten comitia dieser Epoche) zur Wahl bestimmter Freunde des princeps schritt. Einige Jahrzehnte später dagegen und gerade in der Zeit Suetons, der um die Wende vom 1. auf das 2. Jh. lebte, war der Begriff destinatio nahe daran (oder er war es sogar schon), Synonym für eine „Designation", einen Namensvorschlag, zu werden, zu dem die Komitien nur noch aufgerufen waren zu akklamieren - eine Bedeutung, die eine ganz unmißverständliche während des 2. Jh. wurde, in dem die förmliche Mitwirkung der Komitien dann auch nicht länger erfor­derlich war. Drittens: Auch wenn Caligula das Pferd Incitatus für das Konsulat (nicht direkt für den Senat) „empfahl", so tat er dies evident doch ganz und gar nicht im juri­stischen und verfassungsmäßigen Sinne, sondern allein, um seinem Enthusiasmus klar und einfach Ausdruck zu geben, zu keinem anderen Zweck. Viertens: Wenn auch Cas­ius Dio bis zu einem bestimmten Punkt die dunkle Notiz aus zweiter Hand (traditur), die ihm von Sueton überliefert ist, übernimmt, so ist doch so viel wahr, daß er implizit in Abrede stellt, daß Incitatus jemals Konsul und später dann Senator geworden sei.

Conclusio: Das Histörchen von Caligula, der ein Pferd zum Senator gemacht haben soll, ist ein Märchen, eine Lüge, eine "tall story". Würde ich sagen.

(Antonio Guarino, Neapel; ebd., S. 332-335)

 

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Inhaltsverzeichnis (pdf. 754 KB)
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