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Literaturen - Das Journal für Bücher und Themen

Aktuelle Ausgabe

Schwerpunkt - Geheime Bekenntnisse, Die Kunst des Tagebuchs

«Ich weiß, dass ich der Menschheit beichte und dass mir die Zukunft zuhört»

Geheime Bekenntnisse. Die Kunst des Tagebuchs Die Journale des ungarischen Erzählers Sándor Márai umfassen fast ein halbes Jahrhundert. Schon die ersten beiden Bände aus den Weltkriegsjahren zeigen ihn als unerbittlichen, sarkastischen und skeptischen verspäteten Bürger – als Anachronisten in der Chronisten-Rolle

VON SIGRID LÖFFLER

In Ungarnist Sándor der Tagespatrondes 18. März. Am Sándor-Tag 1944 lud der Schriftsteller Sándor Márai seine Verwandten zum Namenstags-Dinner in seine Budapester Wohnung im noblen Viertel Christinenstadt ein. Erst im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass mit diesem Festessen eine Epoche zu Ende gegangen war. Genauer gesagt: eine längst untergegangene Epoche hat in aller Förmlichkeit ihr feierliches Finale zelebriert. Es war eine Abschiedsvorstellung, die hier inszeniert wurde, inmitten schöner Antiquitäten, mit Meißner Zwiebelmusterporzellan und altem Tafelsilber und im flackernden Kerzenschein aus zwei kostbaren französischen Kerzenleuchtern. Die elf Menschen, die um den ovalen Tisch saßen, Bürger-Sprösslinge aus Oberungarn und Buda, spielten nocheinmal, zum letzten Mal, das Leben ihrer Väter nach, in den Kulissen und mit den Requisiten einer vergangenen bürgerlichen Ära. Nie wieder sollten sie danach um einen gemeinsamen Tisch sitzen.

Genau ein Jahr später, am 18. März 1945, notierte der Gastgeber Márai in seinem Tagebuch: «Heute vor einem Jahr saß in unserer Wohnung in der Mikógasse am schön gedeckten Tisch die Familie beisammen. Es gab ein üppiges Abendessen, gute Weine, eine versöhnliche, fröhliche Stimmung herrschte. Alle waren sie da, der Schwager, die Geschwister, eine verwandte Dame, Großgrundbesitzerin vom Lande. Es war ein gemütlicher, familiärer Abend. In der Nacht besetzten die Deutschen Ungarn.»

Es war ein Freund Márais, der Diplomat Aladár Szegedy-Maszák, der um Mitternacht aus dem Außenministerium anrief, von wo er den Einmarsch der Deutschen beobachten konnte, die gerade mit ihren Panzern den Regierungssitz in der Burg von Buda einnahmen.

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