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Grab des 3.-4. Jh. n. Chr. aus Yingpan im Lop-Nur-Gebiet

Ein ähnliches Identifizierungsproblem haben wir bei einem Grab des 3.-4. Jh. n. Chr. Aus Yingpan im Lop-Nur-Gebiet des südöstlichen Tarim-Beckens. Im dortigen Gräberfeld wurde in einem Holzsarg die Trockenmumie eines etwa in seinen frühen 30ern verstorbenen Mannes von fast 2,00 m Größe entdeckt. Den Sarg - mit Blumen und sich kräuseln­den Blättern bemalt - bedeckte eine Decke, in die ein Löwe eingewebt war. Der Mann selbst war im Sarg in ein rotes, wol­lenes Gewand gehüllt, das gelbe Stickereien aufwies. An einer gelben Schärpe um die Hüften trug er einen Duftbeutel. Die Grabbeigaben bestanden aus einem Halsschmuck, Pfeil und Bogen, einer Glasschale und einem hölzernen Kamm. Die Leiche ruhte mit dem Kopf auf einem Kissen, weshalb man dem Mann sicherlich nicht unberechtigt einen hohen gesell­schaftlichen Rang zuschrieb und ihn als reichen sogdischen Kaufmann, vermutlich aus dem Raume des heutigen Tad­schikistan oder Usbekistan stammend, identifizieren wollte.
Maske des Verstorbenen aus Yingpan ; ibid., S. 56.
Maske des Verstorbenen aus Yingpan ; ibid., S. 56.
Darstellung zweier Satyrn auf dem Gewand (Kat.-Nr. 162); ibid., S. 56.
Darstellung zweier Satyrn auf dem Gewand (Kat.-Nr. 162); ibid., S. 56.

Für den heutigen Betrachter fällt besonders eine Gesichts­maske auf, deren Auflage aus einem natürlichen Fasermate­rial - wohl aus Hanf - gefertigt ist. Diese Auflage ist in feuchtem Zustand über einem hölzernen Model erstellt, ge­trocknet und anschließend bemalt worden. Die geschlossenen Augen werden ebenso wie die etwas dicker gezeichneten Au­genbrauen durch schwarze Farbe dargestellt. Unter der rela­tiv groß und breit gestalteten Nase der Maske wird durch schwarze Farbe ein Schnurrbart dargestellt, die Lippen sind rötlich getönt wiedergegeben. Die Maske ist, um die Ge­sichtsfarbe wiederzugeben, weiß grundiert. Die Stirn der Maske des Mannes bedeckt eine Goldfolie. Er trug Filzstiefel, die wiederum mit dreieckigen und quadrati­schen Mustern in Blattgold verziert waren. Die feinen Hosen aus Wolle sind von violetter Farbe und mit rhomboiden und floralen Mustern verziert. Das ebenfalls aus Wolle beste­hende Obergewand bzw. der Kaftan oder der knielange Man­tel hat ein Muster aus nackten, sich mit einem Kurzschwert bekämpfenden Eroten sowie Ziegen und Ochsen, die um Granatapfelbäume herum angeordnet sind. Derartige Eroten sind in der buddhistischen Kunst der Gandhara-Schule des heutigen Nordwest-Pakistan und des angrenzenden Afgha­nistan, vor allem in der fast zeitgleichen Schieferkunst, keine Seltenheit, sie weisen auf westlich-hellenistischen Einfluss hin.

Die Frage ist nun, wer dieser Mann aus Yingpan war. Auf­grund der großen Ähnlichkeiten der Bekleidung des Mannes aus Yingpan mit Darstellungen von Sogdern auf sogdischen Wandmalereien, z. B. in Pendschikent, Alt-Samarkand und Varahsha, liegt es nahe, in ihm einen wohlhabenden Sogder zu sehen.

Sogdische Händler, die aus dem westlichen Mittelasien, dem heutigen Tadschikistan und Usbekistan stammten, waren schon sehr früh im Tarim-Becken anzutreffen. Mittlerweile wird de­ren Anwesenheit an den Seidenstraßen aber nicht nur durch die lange bekannten, so genannten „alten sogdischen Briefe“ aus der Nähe von Dunhuang beleuchtet. Unser Wissen um Sogder in China wird in den letzten Jahren auch durch die Bearbeitung sogdischer Grabanlagen mit reich geschmückten, steinernen Grabeinbauten, die bis hin nach Nord- und Zentralchina entdeckt worden sind, erweitert. Es ergibt sich nun, sowohl was die Ähnlichkeit mit Darstellungen von Sogdern in Sogdien selbst, als auch mit den Grabanlagen sogdischer Diplomaten und Händler in China anbelangt, ein Datierungsproblem. Grob gesprochen sind die sogdischen Wandmalereien im westlichen Mittelasien und die sogdischen Gräber in China kaum vor dem 5.-7. Jh. n, Chr. zu datieren. Das Grab des Yingpan-Mannes ist aber deutlich älter.

Trotz einer gewissen Offenheit gegenüber dem Buddhismus, dem Manichäismus und dem nestorianischen Christentum sind die Sogder wohl in hohem Maße Anhänger einer ostiranischen Variante des Zoroastrismus gewesen. Da im Zo­roastrismus die Toten aber nicht verbrannt oder körperbe­stattet werden, um die geheiligten Elemente der Luft und des Bodens nicht zu beschmutzen, wurden im sogdischen Kern­land die Toten vornehmlich den Geiern und wilden Hunden zum Fraß vorgesetzt. Die zurückbleibenden Knochen wurden eingesammelt und in so genannten Ossuarien, relativ kleinen Knochenkisten aus Keramik und Stein, beigesetzt. Dies ge­schah ohne Beigaben. Die nun in China später vorkommen­den sogdischen Körpergräber weisen schon auf einen erheb­lichen Einfluss der Han-chinesischen Kultur hin.

Darstellung eines Kentauren und eines Kriegers auf einem Hosenfragment (Kat.-Nr. 113); ibid., S. 57.
Darstellung eines Kentauren und eines Kriegers auf einem Hosenfragment (Kat.-Nr. 113); ibid., S. 57.
Bei dem Mann aus Yingpan ist aber chinesischer Einfluss auf die Be­stattungssitten noch nicht wirklich spürbar. Wenn man einen solchen chinesischen Einfluss sehen wollte, wäre es vor allem die Körperbestattung selbst. Auch ergeben sich aus dem Bei­gabenmaterial keine direkten Erkenntnisse zur Religion des Bestatteten oder seiner wirklichen Herkunft. Daher ist es eher ein wissenschaftlicher Behelfsgedanke, wenn in bishe­rigen Besprechungen zum Yingpan-Mann in Bezug auf die Maske darauf hingewiesen wird, dass wir im Oasenstaat Kuqa an der nördlichen Seidenstraße auf einer buddhisti­schen, hölzernen Bestattungsurne wohl Maskierte bei Bestattungsfeierlichkeiten dargestellt finden und sogar noch eine Hälfte einer hölzernen Tanzmaske ebenfalls aus Kuqa bekannt ist. Somit bleibt nur, die Beigaben ihre eigene Aus­sage machen zu lassen: Die reiche Kleidung, das Gold auf der Stirn der Maske sowie die reiche Sargbemalung und die Sarg­decke weisen auf einen hohen gesellschaftlichen Rang des Mannes hin. Die Glasschale dürfte möglicherweise ein ost­römisch-syrisches Produkt sein, was eventuell, sozusagen „pars pro toto" auf seinen Stand als reisender Fernhändler hin­weisen könnte. Die Bewaffnung, bestehend aus Pfeilen und zugehörigem Bogen, könnte dann dahingehend gedeutet wer­den, dass er sich zur Selbstverteidigung gegen Räuber selbst schützen wollte. Den beigegebenen Kamm kann man ebenso wie den Duftbeutel an der gelben Schärpe dem Bereich Kör­perpflege zuordnen.

Natürlich ist es bestechend, direkte Vergleiche zwischen der Hosen-, Kaftan- und Stiefelausstattung von Dargestellten auf sogdischen Wandmalereien mit unserem Mann aus Ying­pan aufzuzeigen. Wir können aber nicht wirklich sagen, ob sich schon etwa drei Jahrhunderte vorher, also vor dem 6. bis 7. Jh. n. Chr. und spätestens im frühen 4. Jh. n. Chr., ausschließlich reiche Sogder so kleideten. Vielmehr kann der Mann auch aus jedem anderen Oasenstaat Zentralasiens, nicht nur des Tarim-Beckens, stammen und seine Kleidung  auf jedem größeren Basar erstanden haben. Auch die mit  hellenistischen Motiven verzierte Kleidung weist nicht bedingt darauf hin, dass der Mann z. B. aus Baktrien, dem heutigen Afghanistan, stammte. Vielmehr kann damit rechnet werden, dass im Tarim-Becken schon früh hellenistisch wirkende Textilien lokal und nach ihrem westlichen Vorbild produziert wurden.

Anhand der Besprechung der kleinen Bronzestatuette aus dem Ili-Gebiet sowie des Yingpan-Mannes aus dem Südosten Xinjiangs konnte gezeigt werden, wie kompliziert eindeutige Zuweisungen an Ethnien oder Gruppen sind.

(ibid., S. 56-58)

Konrad Theiss Verlag
Ausstattung eines Verstorbenen aus Yingpan (Kat.-Nr. 162); ibid., S. 55.
Ausstattung eines Verstorbenen aus Yingpan (Kat.-Nr. 162); ibid., S. 55.