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Historische Archäologie

Ein Versuch der methodologischen Grundlegung der Archäologie als Geschichtswissenschaft

Im deutschen Sprachraum wird die nach prähistorischen Methoden arbeitende Archäologie spätestens seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend übereinstimmend als Geschichtswissenschaft betrachtet. Allerdings steht dieser Übereinkunft im Bezug auf die wissenschaftlichen Zielsetzungen ein fast vollständiges Fehlen von Vorstellungen gegenüber, auf welchen Wegen das historische Ziel der Archäologie erreicht werden kann: Der archäologische Methodenbegriff bezieht sich seit den Anfängen im 19. Jahrhundert fast ausschließlich auf quellenkundliche Arbeitsweisen wie Typologie, Chronologie und Chorologie. Methoden der historischen Interpretation und Quellenkritik wurden in der Archäologie dagegen nur in ersten Ansätzen entwickelt. In Anbetracht dieser erkenntnistheoretisch zentralen, aber dennoch weitgehend unbemerkt gebliebenen "Methodenlücke" nimmt es nicht Wunder, wenn der Dialog zwischen Archäologie und der im Wesentlichen auf Schriftquellen gestützten Geschichtswissenschaft zwar in die Jahre kommt, sich inhaltlich aber kaum weiterentwickelt.
Frommer, Sören: Historische Archäologie. Ein Versuch der methodologischen Grundlegung der Archäologie als Geschichtswissenschaft. Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie Band 2. Hrsg. von Barbara Scholkmann. Büchenbach: Verlag Dr. Faustus 2007.
Frommer, Sören: Historische Archäologie. Ein Versuch der methodologischen Grundlegung der Archäologie als Geschichtswissenschaft. Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie Band 2. Hrsg. von Barbara Scholkmann. Büchenbach: Verlag Dr. Faustus 2007.

Entwicklung eines methodologischen Gesamtkonzeptes der Archäologie als Geschichtswissenschaft

In der vorliegenden Arbeit wird nun zum ersten Mal der Versuch unternommen, ein methodologisches Gesamtkonzept der Archäologie als Geschichtswissenschaft zu formulieren. Ausgehend von einer umfangreichen quantitativen Untersuchung des weiten Quellenspektrums der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit wird das "historische Potenzial" der materiellen archäologischen Quellen erstmals einer systematisierenden Betrachtung unterzogen. Eine parallel dazu durchgeführte Untersuchung der mittelalter- und neuzeitarchäologischen Interpretationspraxis gibt Einblick in produktive sowie eher problematische Elemente der bislang noch weitgehend unreflektierten Deutungspraxis unserer Disziplin.

Gestützt auf eine umfassende Diskussion der Forschungsgeschichte und in intensiver Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Grundfragen historischen Arbeitens kann in vorliegender Arbeit schließlich ein konsistentes Methhodengebäude einer archäologischen Geschichtswissenaschaft vorgeschlagen werden. Unabhängig von den aus historischer Sicht eher reserviert zu beurteilenden Konzepten der theoretisierten anglophonen Archäologie, wird in vorliegender Arbeit ein eigenständiger, innovativer und zugleich den hiesigen Wissenschaftstraditionen verpflichteter Weg zu einer historischen Archäologie beschritten - eine ausgezeichnete Basis für den längst überfälligen Einstieg in die Diskussion über die Grundlagen der Archäologie als historischer Wissenschaft.

Verlag Dr. Faustus

Von der Quelle zur historischen Edition

Materielle Hermeneutik im Archäologischen Prozess

 

"Thus, the separation of observation and interpretation in time and space becomes an invalid and redundant exercise. It is now seen as creating an unnecessary cleavage in interpretive practice. This necessitates the collapse of the sequence of excavation, post-excavation and report-writing; they are now part of a unitary project and cannot be seen as isolated components."

Colin Richards (1995)

 

 

Nachdem die historische Methode der Quellenwerterschließung, das zentrale Ziel dieser Arbeit, in den letzten drei Kapiteln entwickelt, formuliert und ausgearbeitet wurde, ist es an der Zeit für eine zusammenführende  Kurzdarstellung der Ergebnisse, welche im Folgenden in eine Skizze des gesamten "archäologischen Prozesses" von der Quelle zur Edition eingebunden werden soll. Die synthetischen Anteile können dabei den Hauptteil der Arbeit nicht ersetzen, sondern sind eher als Wegweiser für den Einstieg in die ausführliche Diskussion zu begreifen. In den nicht-synthetischen Teilen des siebten Kapitels jedoch wird die Diskussionsbasis noch einmal erweitert: Während die letzten drei Kapitel im Wesentlichen mit dem befasst waren, was man im Allgemeinen als Auswertung bezeichnet, sollen in diesem letzten Kapitel des zweiten Teils auch die Problemd der Ausgrabung, der Ausgrabungsplanung sowie der abschließenden Publikation, der Edition, besprochen werden. Da diesen Phasen allein das Ziel zukommen kann, die historische Auswertung optimal vor- oder nachzubereiten, stellen die einschlägigen Betrachtungen letztlich im Wesentlichen Folgerungen aus dem bislang Entwickelten dar. Diese Abhängigkeit bedeutet allerdings nicht, dass das im Folgenden Auszuführende eine geringere praktische Relevanz besäße.
Abb.83, ibid., S.296
Abb.83, ibid., S.296

In Abb. 83 wird versucht, den archäologischen Prozess von der Ausgrabung zur Publikation gemäß den Grundlagen der in den letzten Kapiteln entwickelten materiellen Hermeneutik zu skizzieren. Dreh- und Angelpunkt des Schaubildes ist die durch verschiedene Orangetöne gekennzeichnete Interpretation des handelnden Archäologen als einzige in den gesamten "archäologischen Prozess" involvierte Repräsentation der archäologischen Quelle. Sie leitet in Form einer nicht in vollem Sinn quellenadäquaten vorläufigen Interpretation den Planungs- und Ausgrabungsprozess (im Schaubild hellorange), sie organisiert die Auswertung der während der Grabung erstellten Dokumentation (orange) und entscheidet über Struktur und Inhalt der abschließenden Publikation (rotorange), welche wiederum die Möglichkeiten der ihr anschließenden fachlichen Diskussion bestimmt. Wegen der Einmaligkeit jedes materiellen Zugriffs (dargestellt durch schmale Verbindungsbalken) auf die originale Bodenquelle kommt der Planungs- und Ausgrabungsphase auch im Bezug auf das Ganze eine grundlegende Rolle zu. In ihrem zentralen Bereich gibt das Schaubild die in Abb. 60 dargestellte heuristische Struktur der materiellen Hermeneutik als Methode der Quellenwerterschließung in vereinfachter Form wieder. Dieser Teil, insbesondere die eigentliche Auswertung der Dokumentation, soll jedoch im siebten Kapitel keine Hauptrolle mehr spielen; es geht zuvorderst darum, die in der Praxis häufig konzeptionell wie personell eigenständigen Bereiche der Grabungsplanung und Ausgrabung als elementare Bestandteile des Gesamtprozesses darzustellen. Wenn Abb.83 ganz entgegen der allgemeinen Praxis alle vier Stufen des archäologischen Prozesses provozierend in einen "hermeneutischen Topf" wirft (s. o.), ihnen also personelle Identität/Kontinuität der wissenschaftlichen Leitung unterstellt, soll damit schon auf eine bedeutsame Inkongruenz von (gegenwärtiger) Praxis und (reiner) Theorie hingewiesen werden, welche praxisnaher und theoriegerechter Lösungen bedarf.

Schließlich treten im Bereich der Publikation Probleme auf, die in der bisherigen Argumentation keine Rolle spielten: Während die eigentliche Erkenntnisfindung - idealisiert gesprochen - noch auf eine Formalisierung des ganzheitlichen Verständnisses verzichten kann, muss diesem in der Veröffentlichung eine in erster Linie schriftliche Form gegeben werden. Der edierende Archäologe kann sein komplexes Verständnis der Quelle nur dann kompromitiert vermitteln, wenn er es in die Form einer (multimedial illustrierten) Schriftquelle gießt. Damit aber ist eine weitere Stufe der Formatierungsprozesse, die definitive Formation verbunden, deren Bedingungen erörtert und vom Editor wie von der kritischen Fachwelt verstanden und berücksichtigt werden müssen.

(Auszug aus Kap.7.1, ibid., S. 295-297.

Verlag Dr. Faustus