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Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II

Blaues Schulheft "Jeder Mensch ist eigentümlich ..." (Sommer 1916 (vermutlich) bis Spätjahr 1923

Jeder Mensch ist eigentümlich und kraft seiner Eigentümlichkeit berufen zu wirken, er muß aber an seiner Eigentümlichkeit Geschmack finden. Soweit ich es erfahren habe, arbeitete man sowohl in der Schule als auch zuhause darauf hin die Eigentümlichkeit zu verwischen. Man erleichterte dadurch die Arbeit der Erziehung, erleichterte aber auch dem Kinde das Leben, allerdings mußte es vorher den Schmerz durchkosten, den der Zwang hervorrief. Man wird z.B. einem Jungen, der abends mitten im Lesen einer aufregenden Geschichte ist, niemals durch eine bloß auf ihn eingeschränkte Beweisführung, begreiflich machen können, daß er das Lesen unterbrechen und schlafen gehn muß. Wenn man mir in einem solchen Fall etwa sagte, es sei schon spät, ich verderbe mir die Augen, ich werde früh verschlafen sein und schwer aufstehn, die schlechte dumme Geschichte sei das nicht wert, so konnte ich das zwar ausdrücklich nicht widerlegen, aber eigentlich nur deshalb nicht, weil das alles nicht einmal an die Grenze des Nachdenkenswerten herankam. Denn alles war unendlich oder verlief ins Unbestimmte, daß es dem Unendlichen gleichzusetzen war, die Zeit war unendlich, es konnte also nicht zu spät sein, mein Augenlicht war unendlich, ich konnte es also nicht verderben, sogar die Nacht war unendlich, es war also keine Sorge wegen des Frühaufstehens nötig und Bücher unerschied ich nicht nach Dummheit und Klugheit, sondern danach, ob sie mich packten oder nicht und dieses packte mich.

(...)

(Auszug aus dem Blauen Schulheft "Jeder Mensch ist eigentümlich ..." (Sommer 1916 (vermutlich) bis Spätjahr 1923), in: Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002, S. 7-8)

"Josefine"- Konvolut (Frühjahr 1924)

noch nicht hier und der Fremde hatte es deshalb verhältnismäßig leicht zu kommandieren. Jedenfalls saß er nun dem Hungerkünstler so nahe als es überhaupt möglch war und hatte sogar die Keckheit, welche selbst die Saaldiener wieder zu einem allerdings schon nach den ersten Schritten wieder aufgegebenen Vormarsch veranlaßte, aus dem Käfig sich einen Strohhalm zu langen und den Hungerkünstler, der überhaupt nicht völlig wach geworden zu sein schien und wieder schlummerte, ein wenig unter dem Kinn zu kitzeln. "Nun", sagte er, "willst Du nicht ein wenig aufwachen, wenn Besuch da ist?" Das war ein recht rohes Benehmen, wenn man auch dem Mann die freilich vergeblich bleibende Anstrengung ansah, den Hungerkünstler zart, gewissermaßen väterlich oder freundschaftlich zu behandeln. Besonders deutlich war dies, als er jetzt dem nun völlig erwachten und ihn mit seinen großen schwarzen Augen ängstlich ansehenden Hungerkünstler lächelnd zunickte. "Ja", sagte er, "ich bin es, der alte, Dir und vielleicht nur Dir allein wohlgesinnte Menschenfresser. Einen kleinen Besuch will ich Dir machen, mich erholen an Deinem Anblick, die Nerven ein wenig ausruhn lassen von dem lästigen Volk".

(...)

(Auszug aus dem "Josefine"- Konvolut (Frühjahr 1924), in:  Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002, S. 648-649)

Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II - Apparatband

(28) "Josefine" - Konvolut (KBod B II, 7: Beschreibung des Schriftträgers

Konvolut von 10 Blättern eines mit hellblauen Quadratkästchen versehenen Papiers vom selben Typ wie die Blätter von Schriftträger (26) (siehe dort) und (27); Bl. 1. Hälfte eines solchen Blattes, durch Abreißen längs der waagerechten Mittelachse entstanden; Höhe 14,3 cm, Breite 22,1 cm (nach Ausweis der Abreißspuren vom Block ursprünglich obere Hälfte eines Blattes, aber in umgekehrter Stellung beschriftet; dabei zeigt das Verhältnis der ersten Zeile auf Vorder- und Rückseite zum darüberliegenden Reißrand, daß die Abtrennung des Halbblattes vom zugehörigen anderen Halbblatt bereits vor seiner Beschriftung erfolgt war); Bl. 2-10 quergefaltet, mit unregelmäßig wechselnder, auch nicht genau waagerechter Knicklinie (also nicht ursprünglich gefaltet); auf allen zehn Blättern, am oberen Rand, links und rechts, Spuren von zwei Bürklammern.

(...)

(Auszug aus (28) "Josefine"- Konvolut (KBod B II, 7), in: Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002, S. 150)

 

S. Fischer Verlage

Leseprobe
Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002 (pdf 570 KB)
Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002 (pdf 570 KB)
"Josefine" - Konvolut
(pdf 934 KB)
(pdf 934 KB)
Leseprobe
Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit,Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002 (pdf 769 KB)
Franz Kafka: Nachgelassene Schriften und Fragmente II, Hrsg. von Jost Schillemeit,Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, November 2002 (pdf 769 KB)