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JUDENTUM

Die zentralen religiosen Texte des Judentums sind die hebräische Bibel als schriftlicher Offenbarungstext und die "mündliche Tora", die sich mit Midrasch ("Bibelauslegung"), Mischna und Talmud (beide bedeuten »Lehre, Studium (der Tora)") sowohl in ihren gesetzlichen (Halacha) als auch in ihren erzählerischen Teilen (Haggada) entfaltet. Zu den Grundlagen des religiösen Lebens im Judentum gehört die Verpflichtung jedes Einzelnen, die Weisungen der Bibel und ihrer Auslegungen zu befolgen und sich mit den Quellen der Offenbarung und Tradition zu beschäftigen. Die Tora ("Weisung", die fünf Bücher Mose = Pentateuch) hat etwa zu Beginn der hellenistischen Zeit ihre noch heute gültige Form gefunden. Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. begannen die Samaritaner sich als eine jüdische Sondergruppe auszuprägen, die eine eigene, im Gegensatz zur judäischen Tradition stehende Gemeinde bildete. Sie betrachteten nur den Pentateuch als Heilige Schrift und bauten in hellenistischer Zeit auf dem ihnen heiligen Berg Garizim einen eigenen Tempel.
Haggada ("Rylands-Haggada"). Valencia?, um 1330. Blätter 12-15; ebd. S. 109
Haggada ("Rylands-Haggada"). Valencia?, um 1330. Blätter 12-15; ebd. S. 109

Erst seit 1842 als Teil des jüdischen Volkes anerkannt, leben sie heute als kleine ethnisch-religiöse Minderheit in Nablus (Westjordanland) und in Holon (Israel). Der mündlich überlieferte, auf der Tora basierende jüdische Lehrstoff wurde nach der Zerstörung des Zweiten Tempels erstmals in der Mischna (um 200) als bedeutendster Sammlung zusammengefaßt und in den jüdischen Akademien von Palästina und Babylonien kommentiert. Aus diesen rabbinischen Diskussionen entstand im 5. und 6. Jahrhundert der Talmud in seinen beiden Fassungen. Die wichtigsten Gebete der Synagogenliturgie wurden in den Gebetbüchern zu Sabbat und Feiertagen ab dem frühen Mittelalter endgültig festgelegt und durch die religiöse Dichtung (pijjuţ) bereichert. Nach Abschluß des babylonischen Talmuds kam es im rabbinischen Judentum unter islamischer Herrschaft zur Abspaltung einer Gruppierung, die den rabbinischen Führungsanspruch nicht akzeptierte. Die Karäer (Anhänger der Schrift, vgl. hebräisch: qara’, "lesen") lehnten den Grundsatz der Gleichberechtigung von schriftlicher und mündlicher Lehre ab und stellten sich gegen rabbinische Autorität und Tradition. Nach einer Zeit der Blüte eigener exegetischer und wissenschaftlicher Literatur verloren die Karäer an Bedeutung und konnten sich nur in kleinen osteuropäischen Gemeinden bis in die Neuzeit halten.

Prägend für die mystische Richtung jüdischen Denkens wurde die Kabbala ("Tradition", "Überlieferung"), die im weiteren Sinn als Sammelbezeichnung für die esoterischen Überlieferungen im Judentum gilt. Als besondere Form der jüdischen Mystik entstand sie im 12. Jahrhundert in Südfrankreich und hat in schriftlicher Form zum ersten Mal in dem Buch Bahir Gestalt angenommen. Ihrem Selbstverständnis nach bezieht sie sich ebenfalls auf die Offenbarung an Mose am Sinai zurück. Die Kabbala geht von einer dynamischen Gottesvorstellung aus, die eine Manifestation des transzendenten Gottes in zehn miteinander sowie mit dem Volk Israel in Wechselwirkung stehenden Potenzen (sefirot) umfaßt. Gebet und gute Taten (Befolgung der Gebote) können die göttliche Beziehung zum irdischen Geschehen beeinflussen. Ziel des Kabbalisten ist die Herbeiführung der Harmonie zwischen den zehn, teilweise in Spannung zueinander stehenden Potenzen im innergöttlichen Leben. Kabbalistische Schriften sind weitgehend Kommentarliteratur. Sie erlebten ihre erste Blüte in Spanien, zur Zeit der großen Kontroversen um die jüdische Adaption griechischer Philosophie. Hauptvertreter der philosophischen Ausrichtung der Glaubenslehren war Maimonides (gest. 1204), dessen Autorität sowohl in religionsgesetzlichen als auch in philosophischen Fragestellungen von dauerhafter Wirkung war. Eine unterschiedliche Symbiose zwischen philosophischem Anspruch und jüdischem Selbstverständnis stellen im islamischen Kontext im 11. und 12. Jahrhundert die Schriften von Salomo ibn Gabirol und Jehuda Halevi dar, mit denen auch die hebräische Dichtung einen Höhepunkt erreichte.

Maimonides, Mishne Tora. Ägypten, um 1180. Blatt 165; ebd. S. 113
Maimonides, Mishne Tora. Ägypten, um 1180. Blatt 165; ebd. S. 113

Während im aschkenasischen Judentum neben Bibelauslegung und Talmud- Kommentaren (Salomo ben Isaak, 1040-1105) auch die Esoterik der Spätantike weitergeführt sowie eine eigene Gebetsmystik und Frömmigkeit (Juda ben Samuel he - Hasid, gest. 1217) entwickelt wurde, entstand in Kastilien mit dem Zohar das Hauptwerk der klassischen Kabbala (Mose de Leon, gest. 1305). Eine andere Richtung gab zur gleichen Zeit Abraham Abulafia mit seiner "prophetischen" Kabbala vor, bei der nicht die Mysterien der Sefirot-Welt im Mittelpunkt stehen, sondern die ekstatische Versenkung in hebräische Buchstabenkombinationen, die eine Vereinigung mit Gott bewirkt.

In der Folgezeit verbreitete sich die Kabbala über die ganze Diaspora, vor allem nach der Weiterentwicklung im galiläischen Safed durch Isaak Luria (1554-1572), der einen mythischen Erlösungsprozeß formulierte, in dem die Exilsgeschichte Israels und das religiöse Leben jedes einzelnen mit den Geheimnissen Gottes und der Schöpfung verbunden wird. Gleichzeitig wurden neue Impulse für die Liturgie gegeben, und Joseph Karo (1488-1575) arbeitete den maßgeblichen Gesetzeskodex aus. In popularisierter Form fand die Kabbala nicht nur Eingang in die ethische Literatur, sondern wurde auch oft mit messianischen I-Ioffnungen verbunden. Nach der Apostasie des Messiasprätendenten Sabbatai Zvi (1626-1676) wirkte die Kabbala lurianischer Prägung im osteuroäischen Chassidismus als letzte große mystische Bewegung im Judentum nach. Trotz ihrer säkularen Ausrichtung beeinflußten auch die jüdische Aufklärung, die Haskala (Moses Mendelssohn, 1729-1786), und der Zionismus (Moses Hess,1812-1875) die religiösen Texte der Neuzeit.

Die religiösen Quellen des Judentums werden im Verlag der Weltreligionen durch die drei Bereiche Bibel und Liturgie, Talmud und Midrasch, Mystik, Philosophie und Ethik repräsentiert. Neben den kanonischen Texten der hebräischen Bibel werden auch die Apokryphen und Pseudepigraphen sowie andere jüdische Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels (Qumranschriften) berücksichtigt. Zur rabbinischen Literatur im weiteren Sinn können auch mittelalterliche Gesetzeskodizes sowie Bibelauslegung und Talmud-Kommentar gezählt werden. Die liturgischen Schriften werden nicht auf die Texte der Gebetbücher für den synagogalen  Gottesdienst beschränkt bleiben, sondern religiöse Dichtung insgesamt umfassen. Die Grenzen zwischen den drei Bereichen sind oft fließend; insbesondere die Mystik stellt keine eigene literarische Gattung dar und hat im osteuropäischen Chassidismus mit seinem umfangreichen Schrifttum einen eigenen Schwerpunkt. Zur Behandlung innovativer Themen werden im Verlagsprogramm auch Grenzbereiche der religiösen Ideengeschichte des Judentums wie philosophische oder apologetische Abhandlungen berücksichtigt. Einen Sonderfall stellt die Literatur der Samaritaner dar, die sich, wie gesagt, in persischer und hellenistischer Zeit als eigene religiöse Gemeinschaft etablierten. Die arabischen Schriften der Karäer, die sich ab dem 8. Jahrhundert vom rabbinischen Judentum abgespalten haben, werden als eigene Gruppierung veröffentlicht. In einer zwischen "Judentum" und "Islam" anzusiedelnden Kategorie sind Doppel-Editionen von Traktaten jüdischer und muslimischer Religionsphilosophen geplant, deren Nähe zueinander unverkennbar ist. (...)

(Auszug aus Die Religionen der Welt - Ein Almanach zur Eröffnung des Verlags der Weltreligionen. Hg.: Hans-Joachim Simm. Mit zahlreichen Abbildungen. Frankfurt am Main und Leipzig: Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag 2007, S. 107-111)

 

Verlag der WELTRELIGIONEN

Reihe "Editionen"
Reihe "Einführungen ...
Reihe "Taschenbücher"