GELIEBTES, DUNKLES LAND
Menschen und Mächte in Afghanistan
"Der Leser wird zum Augen- und Ohrenzeugen des Zentralkonflikts unserer Zeit. Jetzt kann niemand mehr sagen, er wisse nicht, worum es in Afghanistan geht."
Frank Schirrmacher (FAZ)
Hindukusch hautnah. Zwei Top-Reporter berichten aus Afghanistan
Noch bis vor kurzem hätten sich die meisten Deutschen damit schwer getan, Afghanistan auf der Weltkarte zu finden. Nun ist in diesem fremden, fernen Land die westliche Militärallianz in einen Konflikt verstrickt, der in einem Desaster auch für die dort stationierten deutschen Soldaten enden könnte. Die USA kämpfen mit ihren Nato-Partnern um die Dominanz und Stabilität in Afghanistan - und damit letztlich um die Zukunft Mittel- und Westasiens mit seinen Rohstoffen. Doch das westliche Bündnis läuft dabei Gefahr, als neur Besatzer verhasst und erbittert bekämpft zu werden. In den südöstlichen Stammesgebieten der Paschtunen sind die islamistischen Taliban, Verbündete Osama Bin Ladens, bereits wieder auf dem Vormarsch.
Die beiden Autoren Susanne Koelbl und Olaf Ihlau bereisen Afghanistan seit vielen Jahren. Ihr Buch "Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan" ist der aktuellste und umfassendste Beitrag zur derzeitigen Diskussion über den Krieg und die Friedensmission am Hindukusch. In ihren faszinierenden, mitunter schockierenden Reportagen erklären die Autoren, was die Taliban wirklich wollen, erläutern den politischen Hintergrund eines komplexen Regionalkonflikts und ordnen die Ereignisse historisch ein. Sie berichten von Orten, an die sich sonst kein Journalist mehr wagt und sprechen mit Beteiligten aller Seiten - jungen Talibankämpfern, verschleierten Polizistinnen, zunehmend ratlosen westlichen Diplomaten und verunsicherten Soldaten - und geben damit dem vermeintlich so fernen Konflikt ein menschliches Gesicht.
Das Buch macht deutlich, warum Afghanistan immer wieder Schauplatz für Kriege ist, die das politische Gleichgewicht der Welt verändern, und es dokumentiert, was die jüngste Entwicklung für Afghanistan, aber auch für den Westen bedeutet.
Susanne Koelbl
Olaf Ihlau
wurde 1942 in Königsberg geboren. Seit dreißig Jahren ist der promovierte Sozialwissenschaftler als einer der besten deutschen Afghanistan-Kenner bekannt. Ihlau berichtete schon in den 80er Jahren als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung über den sowjetischen Feldzug und später als Ressort-Leiter Ausland SPIEGEL über die Zusammenhänge dieser Schlüsselregion.
Vorwort
Was sind das für Menschen hier, die Unschuldigen mit einem Messer die Kehle durchschneiden oder sechsjährige Kinder zu Selbstmordattentätern ausbilden?, fragen sich Europäer und Amerikaner, die heute eine Zeitung mit den neuesten Nachrichten aus Afghanistan aufschlagen. Es ist »eine extreme Unbezähmbarkeit", beschreibt der Kölner Soziologe und ehemalige Lehrbeauftragte der Universität Kabul René König den Charakter der Paschtunen, der größten afghanischen Volksgruppe, aus denen sich die meisten der radikalislamischen Taliban rekrutieren.
Doch auch Islamisten folgen zumeist traditionellen Spielregeln, zum Beispiel dem Paschtunwali, einem archaischen Ehrenkodex, der die Blutrache kennt, aber auch die heilige Verpflichtung zur Gastfreundschaft: Danach setzen die Afghanen jederzeit ihr Leben ein, wenn ihnen die Unversehrtheit einer Person anvertraut wird. Mit diesem Fremden würden sie dann auch die letzte Kelle Reis teilen, selbst wenn er ein »Kafir" ein Ungläubiger, ist. So reisten auch die Autoren dieses Buches oft unter dem Schutz regionaler Patrone, ohne die der Zugang zu vielen Orten und Menschen nicht möglich gewesen wäre.Auf dem sogenannten Hippie-Trail, der Traumstraße von Istanbul bis Nepal, war Afghanistan in den Sechziger- und Siebzigerjahren eines der spektakulärsten Etappenziele. Eine Übernachtung in einem der kleinen Hotels um den legendären Basar "Chicken Street« im orientalischen Kabul mit seiner grandiosen Bergkulisse kostete damals umgerechnet zwei Mark, und ein Kilo »Chars«, besser bekannt als »Schwarzer Afghane«, angeblich das beste Cannabisharz der Welt, war für 6o Mark zu haben. Die Freundlichkeit der Afghanen hat die Reisenden stets fasziniert, und ihre einmalige Gastfreundschaft bewahrten sich die Menschen trotz ihrer tragischen Geschichte, auch wenn sie inzwischen immer öfter ein anderes Gesicht zeigen, das grausam ist und roh, voller Unbarmherzigkeit.
Afghanistan ist eines der widersprüchlichsten und abenteuerlichsten Länder überhaupt. In den Städten glitzern heute, sechs Jahre nach der Vertreibung der Taliban, bunte Shopping Center, und über Mobiltelefone und Internet sind die Afghanen mit der modernen Welt verbunden. Hinter den Lehmmauern der Wohngehöfte auf dem Land herrschen jedoch archaische Verhältnisse. Die Frauen gehen tief verschleiert. In den Bergregionen der Stammesgebiete trägt fast jeder Mann eine Waffe und scheut sich nicht, sie auch zu gebrauchen.Wer heute nach Afghanistan geht, den erfasst unweigerlich dieser Widerstreit aus Anziehung und Abgrund.
Immer wieder versuchten fremde Mächte, die Instabilität der Region zu nutzen, um das Herzland Asiens zu unterwerfen und zu beherrschen, doch niemandem ist dies auf Dauer je gelungen. Die Engländer scheiterten in drei fürchterlichen Kriegen. Die Sowjets rangen in den Achtzigerjahren um die Vorherrschaft am Hindukusch. Ihre Hightech-Armee mit über 1oo ooo Mann wurde von den zähen Guerillakämpfern geschlagen und verjagt. Nach den Angriffen der Terrorgruppe al-Qaida auf das World Trade Center und das Pentagon kämpfen dort nun seit Oktober 2oo1 die Amerikaner und ihre westlichen Alliierten um Dominanz und Stabilität.
Afghanistan ist eingeschlossen von sechs Ländern und ohne Zugang zum Meer. Doch gerade seine geographische Region strategisch interessant. Von hier aus lässt sich der fragile Nachbar Pakistan mit seinen extremistischen Gruppen beobachten, immerhin ein nuklear bewaffnetes Land; im Westen befindet sich der ölreiche Mullah-Staat Iran, der dabei ist, zur Nuklearmacht aufzusteigen. Im Osten grenzt am schmalen Wakhan-Korridor der ebenfalls atomar gerüstete Wirtschaftsriese China. Nördlich, jenseits des großen Amu-Darja-Fluesses, schließen die zentralasiatischen Republiken an mit ihren gigantischen Gas- und Ölvorkommen, die einmal durch Afghanistan zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer geleitet werden könnten.
Doch ursprünglich waren es die Terroranschläge des 11. September 2oo1, die Soldaten und Aufbauhelfer von inzwischen siebenunddreißig westlichen Nationen an den Hindukusch brachten. Die aktuelle Afghanistanmission ist damit die aufwendigste multinationale Operation aller Zeiten. Dennoch läuft hier, verglichen mit anderen Krisenherden, ein gefährliches Sparprogramm: Die internationale Gemeinschaft investierte zehnmal mehr für einen Kosovaren als für einen Afghanen, und die Hilfe am Hindukusch verpufft ohnehin vielfach, weil Entwicklungsexperten mehr Geld für Konferenzen und den Unterhalt ihrer Organisationen ausgeben als für die bedürftigen Menschen.
Das Kosovo ist kaum so groß wie die Oberpfalz, doch die US-geführten Alliierten starteten ihre Operation 1999 nach dem Krieg mit einer immerhin 5o ooo Mann starken Friedenstruppe. Afghanistan besitzt fast die doppelte Fläche der Bundesrepublik Deutschland - und gerade mal 5ooo Peacekeeper sorgten cdort anfangs für Sicherheit. Die Isaf-Schutztruppe wurde inzwischen auf 4o ooo Soldaten aufgestockt, ist heute jedoch auch selbst erheblich in Kämpfe verwickelt. Um eine ähnlich stabile Sicherheitslage herzustellen wie auf dem Balkan, wäre eine irrwitzige Truppenstärke von über einer Million Soldaten erforderlich.
Dass es nicht gelungen ist, das Leben der Menschen entscheidend zu verbessern, wie ihnen dies zugesagt wurde, ist eine der wesentlichen Ursachen, warum die westliche Allianz die Unterstützung der Afghanen verliert. Vor allem eines konnten ihnen weder ihre Regierung noch die fremden Kräfte bieten: Sicherheit.
Doch wie diese Mission auch ausgeht, was immer passiert, das Volk der Afghanen, so zerstritten es untereinander ist, wird nicht aufgeben. Die Region am Hindukusch entzieht sich auf eigene Weise der Rationalität westlichen Denkens. Trotz unvorstellbarer Leiden während Besatzung, Bürgerkrieg und Hungersnöten sind die Menschen dort bis heute stolz und ungebrochen.
Wenn sich ein Fenster auftut - und sei es nur die Chance, die Heimat einmal kurz wiederzusehen -, kehren die Flüchtlinge zurück, ebenso die Exilafghanen, die in der Fremde ausgeharrt haben, getrieben von einer tiefen Sehnsucht nach dem geliebten Land. Und immer voller Hoffnung.
(Vorwort, ebd., S. 7-11, Abb., ebd., Tafeln I-VII)