Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim
Ehrfurcht und Sensibilität im Umgang mit dem "Guten Ort"
Des Gerechten Name bleibt ewig und sein Andenken ist ein Segen (Ps. 112, 6. Spr. 10,7).
"Früher jedoch und nachdrücklicher als die höfliche Sitte stattete der Tod die Personen mit unseren Achtungsbezeigungen aus. Das Geschlecht der Todten ist das uns vorangegangene, das Sterben eines Jeden unsere eigene Zukunft; selbst was uns verblendet und entzweiet nimmt der Tod mit sich hinweg und bringt statt des Grolls die Scheu vor einem erhabenen Dunkel: so werden die Verstorbenen uns näher gerückt in der Liebe und höher gestellt in dem Range. Gott im Sterben schauend ruhen sie in der Erde, dem Gericht anheimgefallen und harrend der Gnade. Sie wissen von uns und ungesehen umgeben sie uns, können sogar durch unsere Frömmigkeit Milderung der Strafe und Trost erlangen. Den Todten darf man nicht kränken, seinen Namen nicht schmähen; seine Leiche muss betattet, das Grab in Ehren gehalten werden. Die edlen Todten aber heissen Lebende, ja die Verstorbenen Gerechte; ihnen angenehm und uns heilbringend ist es, das was sie gesprochen und gelehrt mit Angabe ihres Namens wieder zu verkünden. Wer aber einen verstorbenen Frommen nennt oder seiner Grabstätte nahe ist, soll ihn segnen und seiner zum Guten gedenken, denn
Des Gerechten Name bleibt ewig und sein Andenken ist ein Segen (Ps. 112, 6. Spr. 10,7)."
(Auszug aus Zunz, Leopold: Das Gedächtniss der Gerechten, in: ders.: Zur Geschichte und Literatur. Hildesheim: Georg Olms Verlag 1976 (Nachdr. der Ausgabe Zunz, Leopold: Zur Geschichte und Literatur. Berlin: Verlag von Veit und Comp. 1845), op. cit., S. 317-318)
Bejt Hachajim
Die Namensgebung schon macht Unterschiede deutlich: Friedhof, also Ort des ewigen Friedens, so heißt man die Begräbnisstätte im allgemeinen. Anders bei uns Juden: Bejt Olam, Haus der Ewigkeit, oder Bejt Hachajim, Haus des ewigen Lebens, so lauten die wohl gebräuchlichsten hebräischen Bezeichungen. Leben in der Ewigkeit wird hier verheißen, so wie der Glaube versichert, daß am Ende aller Tage aus dem kleinsten noch erhaltenen Knochenrest der Aufbau des neuen Leibes geschehen wird.
So erklärt sich aus diesem Glauben denn auch die außergewöhnliche Sorgfalt, mit der ein Leichnam im Judentum behandelt wird, wie übrigens der gesamte Friedhof, den die jiddische Sprache einen "guten Ort" nennt, ein hohes Maß an Ehrfurcht genießt. Diese Ehrfurcht, zumindest vor der Geschichte, sollte jeder Besucher jüdischer Friedhöfe fühlen. Denn er bewegt sich auf zutiefst historischem Boden. Schon deshalb, weil das Bejt Hachajm, das Haus des Lebens, auf ewig angelegt ist.
Dies unterscheidet, jenseits religiöser Unterschiede, jüdische von nichtjüdischen Friedhöfen, daß sie zugleich ein Ort von unschätzbarem kulturhistorischem Wert sind. Ein jüdisches Grab nämlich wird niemals aufgelassen, niemals also neuerlich belegt. Es besteht bis zu jenem Tag, da neues Leben in anderer Form geschehen wird. Und es bleibt unangetastet von Menschenhand. Allein die Natur mag hier eingreifen, mag Wurzeln ziehen oder den Grabhügel im Laufe langer Jahre von immer neuer Erde bedecken lassen.
Freilich, die strikte jüdische Forderung, einen Friedhof gleichsam als Sinnbild der Vergänglichkeit alles Lebenden zu verstehen, ist in der Vegangenheit oft fehlinterpretiert worden. Deshalb sei an dieser Stelle daran erinnert, daß der Wunsch nach natürlicher Vergänglichkeit nicht etwa bedeutet, einen jüdischen Friedhof sich selbst und allein den Kräften der Natur zu überlassen.
Dies mag in früheren Zeiten möglich gewesen sein, als Gräber unbefestigt angelegt und Grabsteine einfach in den Boden gerammt wurden. Damals stand es in der Tat zu erwarten, daß im Laufe der Zeit eine Grasnarbe allmählich alles unter sich bedecken würde. So wie es der alte Teil des Jüdischen Friedhofes in Darmstadt mit seinen eingesunkenen Sandsteingrabsteinen auch heute noch erkennen läßt (...)
(Auszug aus: Moritz Neumann, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Darmstadt. In: Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 9)
Eindrucksvolle Denkmäler
Jüdische Friedhöfe, vor allem ihre älteren Grabsteine, sind nicht nur eindrucksvolle Denkmäler, sie sind auch wertvolle und vielfach einmalige Quellen zur Geschichte der Juden, der jüdischen Kultur und des jüdischen Lebens. Ebenso wichtig wie Namen und Daten, die sich für die frühe Zeit oft nur hier erhalten haben, sind die begleitenden Texte, die vielfältige Einblicke in jüdischen Glauben und jüdisches Denken vermitteln. Zu ihrer Erschließung bedarf es freilich der Umsetzung, da die Inschriften noch bis weit ins 19. Jahrbundert ausschließlich oder vorwiegend auf Hebräisch gefaßt sind, in einer oft blumenreichen, mit talmudischen Zitaten, Anspielungen und Abkürzungen durchsetzten Sprache, die nur dem Fachmann zugänglich ist. Die sichernde Dokumentation und Entzifferung ist angesichts der umweltbedingten Verwitterung des bei älteren Steinen vorrangig verwandten Buntsandsteins, die erschreckend rasch fortschreitet und eine Reihe von Steinen schon jetzt unlesbar gemacht hat, zu einem vordringlichen Anliegen der historischen Denkmalpflege, aber auch und vor allem der jüdisch-deutschen Geschichtsforschung geworden (...)
(Auszug aus: Benno Szklanowski / Eckhart G. Franz: Vorbemerkung der Bearbeiter. In: Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 11)
Die Sprache der Symbole auf den Grabsteinen
Jüdische Grabsteine unterscheiden sich schon durch das Fehlen jeder figürlichen Darstellung von den Grabsteinen christlicher Friedhöfe. Obwohl im Mittelpunkt eindeutig die oft dekorativ gestaltete Schrift steht, gibt es jedoch zusätzlich verschiedene Schmuckelemente. Gerade auf dem Darmstädter Friedhof läßt die kunstvolle bildhauerische Gestaltung vermuten, daß hier auch die talentierten Hofsteinmetzen der Landgrafen beschäftigt wurden, ohne daß man dies im einzelnen nachweisen könnte.
Es gibt auf den Grabsteinen eine Reihe von bildlichen Darstellungen die zum Teil symbolisch auf Leben und Tod hindeuten aber auch Bildsymbole, die auf Stammeszugehörigkeit, Beruf oder Namen des Verstorbenen hinweisen, die Stellung, Herkunft oder Persönlichkeit des Dahingeschiedenen charakterisieren.
Auf Grabstein Nr. 32 finden sich am oberen Rand die segnenden Hände des Priesters, ein Hinweis auf die aaronitische Abstammung der Familie, auf die in der Grabschrift durch den entsprechenden Namenszusatz (Hakohen) hingewiesen wird. Die Priester (hebr.: Kohanim) entboten dem Volke gemäß Numeri 6, 24-26 - den dreifachen Segen täglich, während er nach der Zerstörung des Heiligtums in der Diaspora nur noch an den Feiertagen erteilt wurde, die nicht auf Šabbat fallen. Die Priesterhände finden sich auch auf den Steinen 113, 298 und 305, sowie auf den etwas späteren Steinen 360 und 379.
Doppelgräber werden häufig mit einem Grabstein geschmückt, der an die doppelten Bundestafeln erinnert, z.B. Steine 39/40, 102, 174, 345 und 298.
(Auszug aus Haus des ewigen Lebens - Beit Hachajim. Der Jüdiche Friedhof in Darmstadt. Grabstätten von 1714-1848. Bearbeitet von Benno Szklanowski unter Mitwirkung von Eckhart G. Franz. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Darmstadt in Verbindung mit der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt. Darmstadt: Justus von Liebig Verlag 1988, S. 29-30)