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Kaufmann - Sammler - Mäzen

James Simon. Sammler und Mäzen für die Staatlichen Museen zu Berlin.

James Simon und die Berliner Museen

Zum Geleit

Eine Geschichte ihrer Mäzene

Die Geschichte der Staatlichen Museen zu Berlin ist in ganz besonderem Maße eine Geschichte ihrer Mäzene. Der unendliche Reichtum und Umfang ihrer Sammlungen, vor allem die Internationalität der Staatlichen Museen als Universal- und Weltmuseum ersten Ranges sind ohne mäzenatische Kultur nicht zu denken. Weit über Vermögen und bloße Finanzkraft hinaus ist es nämlich gerade die Internationalität, Weltläufigkeit und kulturelle Offenheit, die den ideellen Rang wahren Mäzenatentums bestimmt. Zum 150. Geburtstag des jüdischen Kauf­manns und Mäzens James Simon kommt den Staatlichen Museen zu Berlin die Ehre zu, am Beispiel eines Lebenswerks zu zeigen, wie unendlich viel Berlin und unsere Nation mäzenatischer Großzügigkeit zu ver­danken haben. James Simon hat mit seinen überreichen Schenkungen den Staatlichen Museen, ihren europäischen und außereuro­päischen Sammlungen, Portale zu Meister­werken der Weltkunst eröffnet, die anders unerreichbar geblieben wären. Mittlerweile sind diese Meisterwerke für das Publikum zur schönsten Selbstverständlichkeit ge­worden - und, wie die Nofretete, zu einem Wahrzeichen der Staatlichen Museen zu Berlin. In der Internationalität der Staatlichen Museen, dem Glanz ihrer Schätze, dem Weltrang ihrer Häuser lebt das Erbe James Simons bis heute fort.

Die Verdienste von James Simon, sein zukunftsweisendes Engagement für Kunst und Wissenschaft und die herausragende Bedeutung modernen Mäzenatentums für das Museum des 21. Jahrhunderts stehen denn auch im Mittelpunkt dieses Bandes. Zudem geben die nachfolgenden Texte Geleit und eine erste Orientierung für den Besuch unserer Sammlungen auf den Spuren eines großen Mäzens. Ob in der Skulpturensammlung, den Sammlungen der Gemäldegalerie, des Ägyptischen Museums, des Museums Europäischer Kulturen oder der Museen für Ost- und Vorderasiatische Kunst: Nirgendwo gewinnt das Leben und Wirken von James Simon lebendigere Anschaulichkeit als vor den Werken selbst.

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der staatlichen Museen zu Berlin

(ebd., S. 7)

Kaufmann - Sammler - Mäzen

Ein Beitrag von Olaf Matthes

Mäzenatentum hat es seit der Antike ge­geben. Aber nur dort, wo entsprechende gesellschaftliche Voraussetzungen vor­liegen, kann sich das Mäzenatentum ent­falten. In Deutschland bot das sonst so oft gescholtene Wilhelminische Zeitalter diese Bedingungen auf nahezu ideale Weise: Anreize wie Orden, Rangerhöhungen sowie der damit verbundene soziale Aufstieg, allgemeine gesellschaftliche Anerkennung und nicht zuletzt äußerst geringe steuer­liche Belastungen bildeten eine Grundlage für potentielles Mäzenatentum. Die ent­scheidende Voraussetzung hierfür war jedoch ein beachtliches Vermögen. Durch die industrielle Entwicklung kam es im 19. Jahrhundert in Deutschland zur Bildung eines äußerst finanzkräftigen Wirtschafts­bürgertums, das die vielfältigen gesell­schaftlichen Anreize wahrnahm und einen Teil des erworbenen Reichtums vor allem für soziale oder kulturelle Zwecke an die Öffentlichkeit zurückgab. Auf diese Weise ließ der Stifter Einsicht oder Kompetenz auf dem jeweiligen Gebiet erkennen und konnte zugleich auf gesellschaftliche Missstände hinweisen.

Für die wenigen aktiven Mäzene - beson­ders mit jüdischem Hintergrund - war ein weiterer Aspekt von wesentlich größerer Bedeutung: Durch ihr Schenkungsverhalten schufen sie sich eine unabhängige Hand­lungsbasis, die es ihnen erlaubte, selbst auf solchen Feldern tätig zu sein, die ihnen sonst verschlossen blieben. Zu diesen Männern gehörte James Simon, der bedeutendste Mäzen der Berliner Museen. Als James Simon (Abb. 1) am 17. September 1851 in Berlin geboren wurde, besaß sein Vater Isaak ein florierendes Herrengardero­bengeschäft. Die wohlhabende jüdische Mit­telstandsfamilie - James Simon hatte noch zwei Schwestern - wohnte, dem sozialen Status und Aufstieg entsprechend, in geräu­migen Etagenwohnungen im Berliner Stadtzentrum.

"Gebrüder Simon Leinwand-­Niederlage und Baumwollwaren-Fabrik"

 Im Jahr nach Simons Geburt gründeten sein Vater und dessen Bruder Isaak Simon die "Gebrüder Simon Leinwand-­Niederlage und Baumwollwaren-Fabrik". Sie spezialisierten sich auf den Zwischenhandel von importierter Baumwolle aus den Verei­nigten Staaten. Gut ein Jahrzehnt hatten die Simons ihr Unternehmen ausgebaut, ehe der von 1861 bis 1865 dauernde Sezessions­krieg in den USA, der zu einer drastischen Verknappung und Verteuerung von Baum­wolle in Europa führte, den Import aus Übersee praktisch zum Erliegen brachte. Die dadurch bedingte Baumwollkrise 1863/64 in Preußen verhalf den Brüdern Simon aber zu einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg, da sie darauf achteten, konstant über einen ausreichenden Baumwollvorrat zu verfügen. Ihre Vorräte konnten sie nun zum fünffachen Preis verkaufen. Dadurch gehörte das junge Unternehmen bald zur Spitzengruppe im deutschen Großhandel für Baumwolle. Der neuen Bedeutung der Firma entsprechend baute man sich einen größeren Gebäude­komplex in der Klosterstraße 80/82. Auch die zahlreichen Firmenzusammenbrüche in den Jahren nach der Gründung des Deut­schen Reiches konnten dem solide geführten Unternehmen nichts anhaben; im Gegenteil ging es gestärkt aus dem Grün­derkrach nach 1873 hervor. Nun waren "Gebrüder Simon" bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges nicht nur im Reich, son­dern auch auf dem europäischen Kontinent das wichtigste Baumwollunternehmen. Diese Stellung lässt sich durch die Entwick­lung des Umsatzes der Firma illustrieren: Mitte der 1870er Jahre betrug er etwa 24 Millionen und der Gewinn jährlich etwa zwischen zwei und drei Millionen Mark. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges wuchs der Umsatz konstant an; 1898 betrug er bereits etwa 36 Millionen und 1902 rund 40 Millionen Mark. Zu Beginn des 20. Jahr­hunderts konnte keine andere Firma dieser Branche in Deutschland auch nur die Hälfte eines solchen Jahresumsatzes aufweisen. Der Erfolg des Unternehmens machte James Simon zu einem der reichsten Männer in Berlin. 1897/98 betrug sein Einkommen 755 000 und 1911 etwa 1,5 Millionen Mark. James Simon besaß 1911 ein Vermögen von etwa 35 Millionen Mark und stand somit an siebter Stelle der Berliner Vermögen. Unter den Gesamtvermögen im Deutschen Reich rangierten die Simons 1908 an 25. Stelle.

Kindheit und Jugend

In seiner Kindheit und Jugend hat James Simon die Entwicklung der Familienfirma und den damit einhergehenden wirtschaftli­chen und sozialen Aufstieg miterlebt. Die Familie legte auf eine gediegene Ausbildung des Sohnes großen Wert, so wie sie in bür­gerlichen Kreisen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland gepflegt wurde. Simon durfte das humanistische Gymnasium "Zum Grauen Kloster" besu­chen. Hier lernte er begeistert Latein und Griechisch, bevorzugte als Lektüre antike Autoren, entwickelte ein anhaltendes Inte­resse für Alte Geschichte und absolvierte an dieser Eliteschule 1869 das Abitur. Beson­ders auf den Gebieten der Musik - Simon spielte Klavier und Geige -, Sprache und der Kunst beeindruckte ihn der begeiste­rungsfähige Schuldirektor Friedrich Beller­mann nachhaltig.

Erholung fand Simon in den Sommerferien durch regelmäßige Besuche bei seinen Großeltern in Pyritz/Pommern. Vor allem die Großmutter muss ihn durch ihr soziales Engagement für notleidende Einwohner sehr beeindruckt und großen Einfluss auf sein Sozialverhalten ausgeübt haben. Auch zu Hause wurde er von der Mutter für die allge­meinen sozialen Missstände im rasch wach­senden Berlin sensibilisiert, was frühzeitig die Grundlagen für sein späteres soziales Enga­gement schuf. Nach dem Abitur hätte Simon gerne an der Berliner Universität Klassische Philologie studiert, fügte sich aber dem väterlichen Wunsch, als einziger Sohn in das Familienunternehmen "Gebrüder Simon" ein­zutreten. Hier durchlief er eine praxisorien­tierte Ausbildung, die durch ein halbjähriges Volontariat im englischen Bradford, dem damaligen Zentrum der britischen Textil­industrie, erweitert wurde. Im Alter von 25 Jahren wurde er schließlich Juniorpartner der "Gebrüder Simon".

Abb. 2  Porträt Agnes Reichenheim, um 1900; ebd., S. 11
Abb. 2 Porträt Agnes Reichenheim, um 1900; ebd., S. 11

Die Heirat mit Agnes Reichenheim

1879 heiratete Simon Agnes Reichenheim (1852-1921; Abb. 2), eine Tochter des Textil­unternehmers und nachmaligen preußischen Landtagsabgeordneten Leonor Reichen­heim. Die Reichenheims hatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den bedeu­tendsten Textilunternehmen gehört und galten als eine der gesellschaftlich angese­hensten jüdischen Familien Berlins. Seinem sozialen Rang entsprechend wohnte das junge Paar in repräsentativen Etagenwoh­nungen; zunächst in der Regentenstraße und der Bellevuestraße, von 1886 an im Oberge­schoss der väterlichen Villa Tiergarten­straße 15a (Abb. 3). Zwischen 1880 und 1886 kamen die Kinder Helene, Heinrich und Marie-Luise zur Welt. Marie-Luise war geistig behindert und starb bereits im Jahr 1900. Das Zusammenleben mit der jüngsten Tochter beeinflusste Simon sicher nachhaltig.
Abb. 3  Villa Simon, Tiergartenstraße 15 a, erbaut von Carl Schwattlo, fertiggestellt 1886. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, in den fünfziger Jahren abgerissen. Heute steht auf diesem Grundstück die Baden-Württembergische Landesvertretung; ebd., S. 11
Abb. 3 Villa Simon, Tiergartenstraße 15 a, erbaut von Carl Schwattlo, fertiggestellt 1886. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, in den fünfziger Jahren abgerissen. Heute steht auf diesem Grundstück die Baden-Württembergische Landesvertretung; ebd., S. 11

Sein soziales Engagement

Schon früh engagierte er sich für benachtei­ligte Kinder. Neben einer Reihe anderer sozialer Einrichtungen förderte er mit beson­ders großem persönlichen Einsatz den "Verein für Ferienkolonien". Dieser Verein bot kranken Berliner Schulkindern unter anderem die Möglichkeit, sich in einem von ihm finan­zierten Sommerheim an der Ostsee in Kol­berg zu erholen. Allein für dieses Heim gab Simon im Laufe der 1890er Jahre mehrere hunderttausend Goldmark aus. Tatsächlich investierte Simon, ähnlich wie andere Großmäzene in Deutschland, den weitaus größten Teil seiner freien Mittel in soziale Bereiche. Dabei spielte die religiöse Orientie­rung kaum eine Rolle. Nur in wenigen Fällen, wie etwa im "Hilfsverein der Deutschen Juden", der seit 1901 für die sozialen und kulturellen Belange seiner Glaubensge­nossen außerhalb Deutschlands eintrat, machte sich Simon als langjähriger Präsident bis zu seinem Tod 1932 für spezifisch jüdi­sche Belange stark. Tatsächlich unterstützte Simon dort, wo er Hilfe für nötig erachtete. Das galt nicht allein für sein weitgefächertes soziales Engage­ment. Er unterstützte persönlich eine ganze Reihe in Not geratener Familien, hoffnungs­voller Nachwuchsmusiker, Wissenschaftler oder Institutionen.

Die königlichen Museen zu Berlin

Von den großen kultu­rellen Einrichtungen profitierten besonders die Königlichen Museen zu Berlin. Seit 1876 verfügte Simon als Juniorpartner bei "Gebrüder Simon" über einen größeren Dispositionsfonds, der es ihm erlaubte, seiner frühen Neigung, dem Sammeln von nieder­ländischen Gemälden, nachzugehen. 1885, mit 34 Jahren, konnte er sich seinen ersten Rembrandt leisten.

Bis zum Tod seines Vaters 1890 bewegten sich Simons finanzielle Möglichkeiten allerdings in einem vergleichs­weise bescheidenen Rahmen. Nachdem Simon im Unternehmen die Position des Vaters als Seniorpartner übernommen hatte, verfügte er über wesentlich bedeutendere Mittel und verwendete sie verstärkt für eigene Kunstinteressen. Die Beschäftigung mit alter Kunst verstand Simon immer als Ausgleich zu der oft als einseitig empfundenen Arbeit in der eigenen Firma. Sein Engagement für die Belange der Berliner Museen ist daher letzt­lich auch als Kompensation für den nicht erfüllten Wunsch eines geisteswissenschaftli­chen Studiums zu verstehen. 

Abb. 4 Wilhelm von Bode (1845 - 1929), Radierung von Max Liebermann, 1914; ebd., S. 12
Abb. 4 Wilhelm von Bode (1845 - 1929), Radierung von Max Liebermann, 1914; ebd., S. 12

Das Wilhelminische Zeitalter

Im Wilhelminischen Zeitalter galt das Sam­meln von Kunst - insbesondere aus der Antike, der Renaissance und dem Barock - als gesellschaftlich wünschens- und für viele als erstrebenswert. Denn Kunstsammlungen dienten sehr oft als Insignien der Zugehörig­keit zu höchsten Gesellschaftskreisen. Doch James Simon gehörte zu den wenigen Berliner Kunstsammlern, die vor allem aus Freude an der Beschäftigung mit Kunst­werken eine eigene Kollektion aufbauten - ohne damit weitreichende gesellschaftliche Ambitionen zu verknüpfen. Er hatte es eben­sowenig nötig, wie etwa die beiden reichen Berliner Kunstsammler Rudolf Mosse und Eduard Arnhold, sich private Kunsttempel aufzubauen, um damit seine Zugehörigkeit zur kulturellen Elite Berlins zu demonstrieren oder soziale Defizite als jüdischer Bürger zu kompensieren. Im Gegenteil: Durch ihre finanzielle Unabhängigkeit konnten sie selbstständig darüber entscheiden, wie und in welche Form sie ihr Geld in kulturelles Kapital umwandeln wollten. Zum Aufbau erstklassiger privater Kunst­sammlungen bedurfte es jedoch in der Regel der Anleitung von Kennern. In Berlin spielte Wilhelm von Bode (1845-1929; Abb. 4) auf diesem Gebiet eine überragende Rolle. Bode, seit 1872 im Dienst der Berliner Museen, 1883 Direktor der Skulpturensamm­lung, 1890 zudem Direktor der Gemäldega­lerie und von 1905 an Generaldirektor, arbei­tete wie kaum ein anderer Museumsleiter seiner Zeit intensiv und erfolgreich an der Erweiterung der ihm anvertrauten Samm­lungen. Als Teil seiner Erwerbungsstrategie regte Bode die Entstehung fast aller wich­tigen Berliner Privatsammlungen an und beriet angehende Kunstsammler beim Aufbau ihrer Kollektionen. Hierfür erwartete er Gegenleistungen in Form von Schen­kungen. Als Ideal sah er die Übereignung von ganzen unter seiner Anleitung entstan­denen Sammlungen an die Berliner Museen an. Bode übte zudem durch seine Berater­tätigkeit bei der Entstehung, dem Ausbau und der Präsentation von Privatkollektionen auch allgemein geschmacksbildend großen Einfluss aus.
Abb. 5  Kabinett Simon im Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum), Zustand 1932; ebd., S. 14
Abb. 5 Kabinett Simon im Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum), Zustand 1932; ebd., S. 14

Seine Vorlieben für die italienische Renaissance

Zu einem der wichtigsten Sammler Bodes wurde der lernbegierige James Simon, der von Anfang an genaue Vorstellungen davon hatte, was er sammeln wollte. Die Qualität der Kunstwerke war für ihn ausschlagge­bend. "An Zeit, Schule, Motiv binde ich mich nicht eng, weil ich nicht Sammler einer Spe­zialität sein will", ließ er in einem frühen Brief an Bode wissen. Simon hatte sich als erster der Berliner Sammler entschieden, unter­schiedliche Kunstgattungen systematisch zu sammeln. Sein Schwerpunkt lag auf Werken italienischer Provenienz des 15. bis 17. Jahr­hunderts, wobei er sich hier in einem größeren Kreis von Berliner Sammlern mit Vorlieben für die italienische Renaissance bewegte, zu ihnen gehörten Oscar Huld­schinsky, Oscar Hainauer, Richard von Kauf­mann und Adolph Thiem. Das gesellschaft­liche und künstlerische Ideal, das die Werke Jacob Burckhardts über diese Epoche pro­pagierten, hatte einen enormen Einfluss auf die Kunstliebhaber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Seit etwa 1890 beschäftigte sich Simon auch theoretisch intensiver mit der Kunst und konnte nun immer öfter seine Vorstellungen von gewünschten Neuerwerbungen gegen­über Bode präzisieren. Ließ sich Simon in den ersten Jahren ganz von Bode leiten, ent­wickelte er bald eigene Vorstellungen davon, auf welchem Wege preiswerte und trotzdem sammelwürdige Kunstwerke zu erwerben waren.

Mit der zeitgenössischen Kunst freundete sich Simon nur in begrenztem Umfang an, da sich auch sein Lehrmeister auf diesem Gebiet zurückhielt. Wie den meisten Sammlern alter Kunst bot die Moderne für Simon kaum Identifikationsmöglichkeiten. Doch war er durchaus offen für einzelne Künstler der Gegenwart. Zu ihnen gehörten Josef Israels und Adolf von Hildebrand. Genauso wie Bode brachte er den Werken Max Lieber­manns Sympathie entgegen. Dass er gerade den Impressionismus - wenn auch nicht für sich selbst - für sammelwürdig hielt, belegt die Tatsache, dass er der Nationalgalerie unter Hugo von Tschudi dazu verhalf, wenigs­tens ein bedeutendes Werk, Gustave Cour­bets Das Mühlenwehr (1866), zu erwerben. Seit Mitte der 1880er Jahre ließ sich Simon über etwa 20 Jahre hindurch intensiv von Bode beraten, so dass er im Laufe der Zeit selbst zu einem Kenner auf einzelnen Kunst­gebieten wurde und eine von Museumsseite als vorbildlich erachtete Renaissancesamm­lung von Gemälden, Plastiken, Möbeln, Medaillen und Münzen zusammentragen konnte. Simon gilt heute zu Recht als Pro­totyp des von Bode angeleiteten Sammlers. Als sich Simon im Jahr 1900 entschloss, seine schon damals berühmte Kunstsamm­lung - die nach Voranmeldung auch besucht werden konnte - mit Werken der Renais­sance den Museen anlässlich der Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums (heute Bode­Museum) zu schenken, wurde die Zusam­menarbeit bei deren Ausbau noch intensi­viert. Bode und sein Assistent Max J. Fried­länder mussten nun das Kaufverhalten Simons in Hinblick auf die von ihnen ge­wünschten Kunstwerke steuern, wofür der Sammler jedoch Verständnis hatte, da ihm die qualitative Hebung seiner Sammlung wie der des Museums wichtig war.

Abb. 6  Große Halle im Erdgeschoss der Villa Simon, Tiergartenstraße 15 a, um 1910; ebd., S. 15
Abb. 6 Große Halle im Erdgeschoss der Villa Simon, Tiergartenstraße 15 a, um 1910; ebd., S. 15

Der Schenkungsvertrag von 1904

Der Schenkungsvertrag von 1904 sah vor, dass die Renaissancesammlung für hundert Jahre vereint bleiben sollte. Sicher wollte man hiermit einen Anreiz für andere Sammler schaffen, dem Beispiel Simons zu folgen, um sich so über den eigenen Tod hinaus ein Denkmal zu setzen. Für Simon selbst war dieser Aspekt als Motivation für seine Schen­kung unbedeutend. Wichtiger war ihm, dass er auf diese Weise dazu beitragen konnte, das Kaiser-Friedrich-Museum wesentlich zu bereichern. Immerhin war es ein zentrales, vom Kaiser gefördertes Unternehmen, das letztlich die Leistungsfähigkeit des preußi­schen Staates aller Welt vor Augen führen sollte. Dabei mitzuwirken galt als wahrer Patriotismus. Für Simon war dies kein Lip­penbekenntnis, sondern praktizierte Bürger­pflicht. Zudem wusste er, dass das Kaiser­ Friedrich-Museum das große Lebenswerk Bodes war. Daran partizipiert zu haben und die eigene Sammlung in dieser Galerie unter­gebracht zu sehen, erfüllte Simon mit Stolz. Dass ihm das zum Teil selbst gestaltete Museumskabinett (Abb. 5) wichtig war, steht außer Frage. Denn neben der Aufstellung der Sammlung in einem besonderen Kabinett legte Simon großen Wert auf die Übertra­gung der wohnlichen Intimität seines privaten Studiolos ins Museum. Auch in diesem Sinne war er sich mit Bode einig, sollte es doch nach seinen Worten nicht "den strengen Museums-Charakter... aufweisen". In der Tat fügte sich die Simonsche Renaissance­sammlung gut in die bereits vorhandene des Museums ein, ergänzte und vervollständigte sie, wie Bode betonte. Simon sah das ähn­lich und betrachtete sein Kabinett als Teil der Sammlung italienischer Renaissance­plastik. Wie für Bode galt auch für Fried­länder Simons Kunstsammlung als vorbildlich und ausgewogen, vereinigten sich doch hier die verschiedenen Kunstgattungen "zu einem harmonischen und stilgerechten Gesamtbilde".

Dass Simon mit diesen Vorstellungen kon­form ging, liegt auf der Hand. Hier konnte der Mäzen in Zusammenarbeit mit Bode nicht nur geschmacksbildend wirken, son­dern auch ein mögliches Identifikations­schema für andere Sammler und Mäzene bereitstellen. Er durfte sich so nicht nur als aktiver Teil eines Kreises, der kulturelle Akzente setzte, fühlen, sondern wirkte besonders in diesen Bereichen zusammen mit Bode prägend. Simon hatte ein außergewöhnliches Inte­resse an den verschiedenen Sammlungen der Berliner Museen.

Abb. 7 Eines der drei Simon-Kabinette im Deutschen Museum (heute Nordflügel des Pergamonmuseums) um 1930; ebd., S. 15
Abb. 7 Eines der drei Simon-Kabinette im Deutschen Museum (heute Nordflügel des Pergamonmuseums) um 1930; ebd., S. 15

"Ein wirkliches Museum mittelalterlicher Sculptur und Malerei ..."

Völlig untypisch war sein Bemühen, Bode ständig neue Sammler zuzuführen. Simon war nicht nur am Ausbau seiner eigenen Sammlung gelegen und sah im Gegensatz zu fast allen anderen Samm­lern die Museen nicht als Konkurrenten beim Ankauf von Kunstwerken an. Vielmehr ver­band er sein Engagement für die staatlichen Kollektionen mit seinen eigenen Interessen als Sammler, wovon fast immer die Museen profitierten. Immerhin trug Simon auf diesem Weg einiges dazu bei, dass Bode in kurzer Zeit Zugang zu den finanzkräftigen Kreisen vor allem des Berliner Wirtschaftsbürgertums fand und so auch eine überragende Stellung im Akquirieren von privaten Geldern ein­nehmen konnte. Den Beteiligten war bewusst, aufeinander angewiesen zu sein und voneinander zu profitieren. Dadurch ent­wickelte sich im Laufe der Jahre ein weitge­spanntes Netz von Beziehungen, in dem Simons Position im Bereich der Museen immer mehr an Gewicht gewann.

Noch während darüber diskutiert wurde, welche Kunstwerke in das Kabinett Simon aufgenommen werden sollten, hatte Simon bereits mit dem Aufbau einer zweiten Sammlung - nun unabhängig von Bode - begonnen. Die Kollektion, deren Schwer­punkt auf deutscher und niederländischer Holzplastik des Spätmittelalters lag, um­fasste auch alte Möbel, Tapisserien, Gemälde und kunstgewerbliche Gegenstände deut­scher, französischer sowie spanischer Pro­venienz. Diese Sammlung, etwa 350 Nummern, schenkte Simon den Berliner Museen direkt nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, zu einer Zeit also, als vermutlich kein anderer Sammler daran dachte, seinen wertvollen Besitz der Öffentlichkeit zur Verfü­gung zu stellen. Für die Schenkung stellte Simon nur die Bedingung einer geschlos­senen Aufstellung und klaren Kennzeichnung des Stifters im zukünftigen Deutschen Museum. Über die Bedeutung seiner Schen­kung für die Museen war sich Simon sehr wohl bewusst; wahrscheinlich hatte er sie bereits beim Aufbau gezielt zusammenge­stellt, dass sie die Berliner Museumssamm­lungen sinnvoll ergänzten. Aus diesem Grund nahm er Kunstgattungen, die nicht zur Qualitätshebung der Museen beitragen konnten, wie etwa seine Elfenbeinbildwerke, von der Schenkung aus. Hier zeigen sich die im Laufe der Jahre erworbene Kennerschaft Simons, sein Urteilsvermögen und seine detailgenauen Kenntnisse der Museumsbe­stände. Wie bereits beim Aufbau der Renais­sancesammlung war er bestrebt, auch der zweiten Sammlung einen einheitlichen Stil zu geben. Es kam ihm nicht so sehr auf bekannte Künstlernamen, sondern auf Typenreichtum an. Alfred Lichtwark notierte 1910 begeistert:

Was ein Mensch doch alles ergattern kann, wenn er viel umher kommt und zugreifen kann. Das Erdgeschoß des Palastes im Thiergarten ist ein wirkliches Museum mittelalterlicher Sculptur und Malerei. (Abb.6)

Die Ägyptische und Vorderasiatische Abteilung

Die zweite große Schenkung Simons sollte im Deutschen Museum, dem Nordflügel des heutigen Pergamonmuseums, untergebracht werden (Abb. 7). Sie kann in enge Beziehung zum erfolgreichen Abschluss der Bauar­beiten an diesem Gebäude in der verzwei­felten Situation nach dem Ersten Weltkrieg gebracht werden. Denn der von Bode seit langer Zeit betriebene Neubau für das Deut­sche Museum war während des Krieges fast völlig zum Erliegen gekommen. In dem wohl bittersten Moment seiner Laufbahn verband

Bode nach dem Krieg die Bekanntmachung der zwangsweisen Herausgabe der Tafeln des Genter Altars, dem Herzstück der Ber­liner Galerie, auf der Grundlage des Versailler Vertrags mit der Ankündigung der zweiten Schenkung Simons. Bode hob hervor, dass der Dank an Simon umso höher einzustufen sei in einer Zeit,

wo alles bei uns in Deutschland zusam­menzubrechen scheint, wo die Kunst­sammlungen zerschlagen und ins Aus­land verschoben werden, wo sich Dr. Simon selbst aus Familienrücksichten von den schönsten ... Stücken seiner holländischen Gemäldesammlung hat trennen müssen, den Mut und die große Gesinnung gefunden hat, wieder eine ... wertvolle Sammlung, die er in zwei Jahr­zehnten aus eigenstem Interesse und nach eigenster Wahl erworben hat, den Museen zum Geschenk zu machen und anderen, mutloseren Sammlern mit leuchtendem Beispiel voranzugehen.

Neben der Schenkung der beiden großen Kunstsammlungen und vieler kleinerer Stif­tungen für die Abteilungen Wilhelm von Bodes über mehrere Jahrzehnte hinweg (Abb. 8) setzte sich Simon seit dem Ende der 1890er Jahre verstärkt auch für andere Museumsabteilungen ein. Hierzu gehörte sein langjähriges Engagement für die Samm­lung für deutsche Volkskunde (vgl. den Bei­trag von Erika Karasek), das Berliner Münz­kabinett und nicht zuletzt die Ägyptische und Vorderasiatische Abteilung der Museen. Auch hier lässt sich Simons Bemühen erkennen, den jeweiligen Museen solche Stücke zu schenken, die die Direktoren aus dem ordentlichen Ankaufsetat nicht erwerben konnten. Simons Schenkungsver­halten gegenüber den Museen war systema­tisch durchdacht - ganz im Gegensatz zu dem zahlreicher anderer Stifter, die entweder allein nach ihren persönlichen Vorlieben schenkten oder durch zufällige Umstände diese oder jene Museumsabteilung unter­stützen.

Oberflächlich betrachtet stehen seine Schen­kungen für die 1885 in der Ägyptischen Abteilung eingerichtete Vorderasiatische Sammlung, aus der 1899 eine eigenständige Museumsabteilung entstand, dazu im Gegensatz. Für sie erwarb Simon eine ganze Reihe der im Kunsthandel greifbaren, vor allem aus Mesopotamien kommenden Arte­fakte und versuchte, so der neuen Museums­abteilung möglichst viele Sammlungsgat­tungen zukommen zu lassen. Die Liste der seit den späten 1880er Jahren regelmäßig von ihm gemachten Schenkungen außerhalb der Deutschen Orient-Gesellschaft liest sich denn auch wie ein Spiegel des damaligen Kunsthandelangebots. Die Erklärung für das Verhalten liegt auf der Hand: Der Mäzen wusste nur zu gut um den vergleichsweise kleinen und wenig repräsentativen Bestand der Sammlung, vor allem was Funde aus dem Zweistromland betraf. Hier bestand genereller Nachholbedarf, zumal die meso­potamischen Hochkulturen auf besonderes Interesse stießen, da in ihnen die alttesta­mentlichen Texte durch spektakuläre Funde, wie sie in Paris oder London zu bewundern waren, lebendig wurden. Zudem suchte Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhun­derts durch den Bau der Bagdadbahn seine wirtschaftlichen wie politischen Ansprüche im Osmanischen Reich geltend zu machen. Simons mesopotamische Schenkungen können somit als ein Beitrag zur Förderung der Erkenntnisse über die Vergangenheit und als Bekenntnis zu den kulturpolitischen und wirtschaftlichen Zielen des Reiches ver­standen werden. (...)

 

(Textauszug aus: Matthes, Olaf: Kaufmann - Sammler - Mäzen. James Simon und die Berliner Museen. In: James Simon. Sammler und Mäzen für die Staatlichen Museen zu Berlin. Hrsg. von Peter-Klaus Schuster. Berlin: Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz 2001, S. 8 -18)

Dieser Beitrag beruht auf der Dissertation des Verfassers: Matthes, Olaf: James Simon. Mäzen im Wilhelminischen Zeitalter in der Reihe Bürgerlichkeit, Wertewandel, Mäzenatentum (Bd. 5), Berlin 2000. Alle Zitate und Belege sind dort nachgewiesen.

 

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James Simon. Sammler und Mäzen für die Staatlichen Museen zu Berlin. Hrsg. von Peter-Klaus Schuster. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz 2001.
James Simon. Sammler und Mäzen für die Staatlichen Museen zu Berlin. Hrsg. von Peter-Klaus Schuster. Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz 2001.