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James Simon und die Berliner Museen

"Soziales Engagement, wenn es von einem notorisch Öffentlichkeitsscheuen kommt, verblasst allzu schnell im Gedächtnis der Nachwelt. Besser sind die Voraussetzungen bei allem, was mit dem Museum - der Erinnerungsinstitution par excellence - zu tun hat. James Simon ist eine Schlüsselfigur im Berliner Museumsleben seiner Epoche gewesen. Das liegt auch an seiner engen Beziehung zu Wilhelm von Bode, der zentralen Figur beim Aufstieg der Berliner Museen zur Weltgeltung.

Gemäldegalerie (Bode-Museum), Eingangstrakt des Kaiser Friedrich-Museums, 1920er Jahre; ebd., Abb. S. 87
Gemäldegalerie (Bode-Museum), Eingangstrakt des Kaiser Friedrich-Museums, 1920er Jahre; ebd., Abb. S. 87

Bodes Museumstraum

Bode nutzte systematisch die Kombination von staatlichen Mitteln und Schenkungsfreudigkeit privater (überwiegend dem Judentum angehörender) Kunstsammler und -mäzene, um Berlin in den Rang der Museumsmetropolen Paris, London und Wien zu heben. Die beiden hatten sich 1883 kennen gelernt, als Simon als Sammler noch wenig Erfahrung hatte. Der Museumsmann und spätere Generaldirektor der Staatlichen Museen beriet, der Unternehmer lernte aufmerksam. Er revanchierte sich, indem er auf Bodes Bitten um Schenkungen einging und ihm darüber hinaus sein gesamtes gesellschaftiches Netzwerk zur Verfügung stellte.

Simons Begeisterung galt vor allem der italienischen Renaissance. Zwischen seinen Sammlerneigungen und Bodes Museumstraum entwickelte sich eine einzigartige Symbiose; fernab von aller Sammlerkonkurrenz agierte Simon als eine Art Menschenfischer: Mit der Idee, durch die Unterstützung von Privatsammlern nach und nach eine weltbedeutende Museumssammlung zusammenzubringen, zog er immer mehr Kaufleute in den Bann von Bodes groß angelegtem Museumsplan.

Simons großherziger Schritt

1900 entschloss sich Simon zu einem spektakulären Schritt: Er kündigte an, seine Renaissance-Sammlung, die auch ein Gemälde von Andrea Mantegna - "Maria mit dem schlafenden Kind" - enthielt, bald an die Staatlichen Museen zu schenken. Am 27. Juni 1904 unterzeichnete Simon den Schenkungsvertrag - es war das größte Legat, dass die Staatlichen Museen seit Heinrich Schliemann erhalten hatten. Seine einzige Bedingung war, dass "die Sammlung für die nächsten 100 Jahre in einem besonderen Kabinett als ein Teil der Sammlung italienischer Skulpturen vereinigt bleiben soll".

Simons großherziger Schritt galt dem neuen Kaiser Friedrich-Museum, mit dem der preußische Staat energisch auf kulturelles Weltniveau hindrängte. Der preußisch-jüdische Patriot Simon fand es selbstverständlich, sich daran zu beteiligen; alles, was Preußen-Deutschland auf einen friedlichen Kultur-Wettbewerb mit den anderen Nationen lenkte, diente dem Fortschritt, diente der Verwandlung des autoritären Militärstaates in ein zukunftsfähiges Gemeinwesen. Über diese Motive seines kulturpolitischen Handelns hat Simon sich nie öffentlich geäußert. Man kann sie aber wegen seiner lebenslangen engen Verbindung zum deutschen Liberalismus getrost unterstellen.

Für Bode war Simons Schritt das beste Argument gegenüber den anderen Privatsammlern in seinem Kreis: Einer hatte den Anfang gemacht. (...)"

(ebd., S. 14)

Andrea Mantegna (1431-1506) - Maria mit dem schlafenden Kind

"In den Gesichtskreis Simons war der Mantegna Anfang 1897 getreten. Es bestand kein Zweifel, dass die Chance zu einer Erwerbung eines Meisterwerkes des berühmten Renaissancemeisters einmal und nie wieder kommen würde und angesichts der Sammlerkonkurrenz sofortiges Handeln vonnöten war. Dennoch ließ sich der kluge Kaufmann Simon nicht aus der Ruhe bringen und brachte die Gelassenheit auf, die Dinge fünf Tage in der Schwebe zu lassen - was zur Folge hatte, dass der Preis von 3 000 auf 2 600 Pfund Sterling sank. (C.S.)"

(ebd., S. 92)

Andrea Mantegna (1431-1506): Maria mit dem schlafenden Kind (1465/70), Leinwand, Höhe 43 cm, Breite 32 cm, Schenkung von 1904 - Gemäldegalerie Kat.-Nr. S.5; ebd., Abb. S. 93
Andrea Mantegna (1431-1506): Maria mit dem schlafenden Kind (1465/70), Leinwand, Höhe 43 cm, Breite 32 cm, Schenkung von 1904 - Gemäldegalerie Kat.-Nr. S.5; ebd., Abb. S. 93

Der bedeutendste Maler des venezianischen Quattrocento

Mantegna, 1431 geboren bei Padua, war der bedeutendste Maler des venezianischen Quattrocento. Die Auseinandersetzung mit der gerade wiederentdeckten antiken Kunst prägt sein Werk. Seine Formensprache ist beeinflusst von dem Bildhauer Donatello, der 1443 bis 1453 in Padua wirkte. Bei seiner "Maria mit dem schlafenden Kind" hat sich Mantegna von dessen Terrakottareliefs anregen lassen, die in der innigen Verschmelzung von Mutter und Kind meisterhafte Sinnbilder der Intimität sind.

Durch die Gestik der Hände ist auch Mantegnas Madonna der Inbegriff mütterlicher Zärtlichkeit. Zugleich spricht die unendlich melancholische Miene der Muttergottes davon, dass sie sich der künftigen Passion des Gottessohnes bewusst ist"

(ebd., S. 92)

"Kulturelle Weltpolitik

aber machte Simon mit der Ausweitung seines Interesses auf den Vorderen Orient. 1888 hatte er mit einer Schenkung begonnen; fast prophetisch mit Fundstücken aus Amarna für das Ägyptische Museum. Das gesteigerte Interesse für diese Regionen hatte in den Jahren um 1900 nicht allein antiquarische Motive: Das Deutsche Reich wollte mit dem Bau der Bagdadbahn mit den älteren Kolonialmächten England und Frankreich gleichziehen; die Blicke der deutschen Eliten richteten sich gespannt auf die Kulturen im Zwischenstromland. Schon 1887 stieß James Simon zu den Gründern des Orient Comité, deren Ziel in der Finanzierung orientalischer Ausgrabungen für deutsche Museen bestand. Nach zehn Jahren mäßig erfolgreicher Tätigkeit nahm Simon die Sache schließlich selbst in die Hand: 1898 gründete er einen neuen Träger, die Deutsche Orient-Gesellschaft, in der staatliche Museen und einflussreiche Kreise des Kaiserreiches Hand in Hand arbeiten sollten.

Simons Idee hatte einen durchschlagenden Erfolg: Der Orient wurde populär, die Ausgrabung von Babylon durch deutsche Gelehrte begann. Am Ende, nach zeirbedingten Irrungen und Wirrungen, standen das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße auf der Berliner Museumsinsel. Simon konnte 1930 die Eröffnung noch miterleben."

(ebd., S. 14-15)

Rekonstruktion des Ischtar-Tores im Vorderasiatischen Museum-Staatliche Museen zu Berlin, 2002, ebd., Abb. S. 62/63
Rekonstruktion des Ischtar-Tores im Vorderasiatischen Museum-Staatliche Museen zu Berlin, 2002, ebd., Abb. S. 62/63