Nicht-nationale Normen als Grenzen
Zunehmende internationale Verflechtungen
"Europäisierung " und " Internationalisierung"
Nahezu jeder Bereich des innerstaatlichen Rechts zeugt seit mehreren Jahrzehnten von einem Prozeß, der mit den Begriffen der "Europäisierung" und "Internationalisierung" umschrieben wird. Die Europäisierung steht für die Beeinflussung, Überlagerung und Umformung nationalen Rechts durch europäisches Rechtsdenken und Rechtshandeln. Die Internationalisierung umschreibt die Durchdringung des innerstaatlichen durch das internationale Recht. Es besteht ein Konsens dahingehend, dass diese zunehmende Verlagerung von Regelungskompetenzen und -inhalten auf die europa- und völkerrechtliche Ebene zur Entwicklung eines äußerst komplexen Netzwerkes an Normen beiträgt, die es letztlich verbietet, die Lösung der Rechtsprobleme allein mit Hilfe einer Normebene anzustreben. Insbesondere eine rein etatistische Sichtweise ist längst überholt.
Obgleich die Rechtswissenschaft auf diese Tendenz relativ spät reagierte, nimmt sich die Staatsrechtslehre dieses Phänomens in verstärktem Maße an. Im Mittelpunkt des Interesses steht hier jedoch deutlich die Europäisierung. In den bisherigen Analysen von Europäisierungs- und Internationalisierungsprozessen wurde bis dato allein das innerstaatliche Recht zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand. In einem Blick "von innen" aus dem nationalen Recht nach außen hin zum Völker- und Europarecht wurde geprüft, wie das nationale Recht durch europa- und völkerrechtliche Vorgaben beeinflusst wird. Es fehlte mithin an einem Ansatz, der den Blick "von außen" auf das komplexe Gesamtsystem, welches nationales, Völker- und Europarecht zusammen bilden, lenkt. (vgl. Odendahl, Kerstin: Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005, S. 1, 2)
Am Beispiel des Kulturgüterschutzes unterzieht Odendahl das komplexe Netzwerk, das beim Zusammenspiel der verschiedenen Normebenen entsteht, einer umfassenden Untersuchung. Sie untersucht dabei eingehend, ob dieses "ebenenübergreifende Normensystem" eine kohärente Struktur und eine formelle wie materielle Geschlossenheit aufweist, d.h. ob dieses ebenenübergreifende Normensystem über gemeinsame dogmatische Elemente und Strukturen verfügt, die eine "ebenenübergreifende Dogmatik" des Kulturgüterschutzes entstehen lassen. Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil eine ebenenübergreifende Dogmatik zur Erleichterung der Einbeziehung der völker- und europarechtlichen Vorgaben in das nationale Recht beitragen könnte. (vgl. Odendahl, S. 2)
"Europäisierung und Internationalisierung stellten dann nicht die mühsame Einarbeitung von systematisch und inhaltlich divergierenden Normen in das nationale Recht dar, sondern wären nur eine Anpassung der nationalen Ebene an gemeinsame, ebenenübergreifende Strukturen, Zielsetzungen und Inhalte. Darüber hinaus könnte eine ebenenübergreifende Dogmatik zur Einheit und Widerspruchsfreiheit des ebenenübergreifenden Normensystems beitragen." (Zit., Odendahl, S. 2)
Art. 25 GG und Art. 59 Abs.2 GG
Art. 25 GG bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind, den Gesetzen vorgehen und unmittelbar Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes erzeugen.
Völkerrechtliche Verträge, deren Inhalt nicht zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört, bedürfen hingegen der Transformation in nationales Recht gem. Art. 59 II GG.
Das sog. supra-nationale Recht der EG beansprucht - abgesehen von Ratifikation und In-Geltung-Setzung des Vertrages selbst - partiell ohne Vermittlung durch nationale Bestimmungen als primäres wie sekundäres Gemeinschaftsrecht unmittelbar Geltung im Privatrechtsverkehr.
Auch wenn es sich bei international vereinheitlichtem Recht formal um nationales Recht handelt, darf offenbar der internationale Ursprung der Rechtsnormen für Auslegung und Anwendung nicht außer Betracht bleiben, dies insoweit als sich der nationale Gesetzgeber auf den Zweck der jeweiligen internationalen Norm bzw. Richtlinien zu berufen gedenkt. (vgl. Hönn, S. 321-337)
Die Berücksichtigung ausländischer Exportverbote ...
Der Nigeria-Fall
Im sog. Nigeria-Fall ( BGHZ 59, 82 ff - Urt. v. 22.6.1972 = NJW 1972, 1575 ff) wurde seitens der Rechtsprechung erstmals ausdrücklich die Herleitung des Sittenverstoßes mit einer Art internationalem ordre public begründet. (vgl. Hönn, Fn. 66)
Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz
Zahlreiche Staaten schützen Kulturgüter durch den Vorbehalt eines Vorkaufsrechtes am Kulturgut. Dieses tritt im Falle einer (beabsichtigten) Veräusserung oder eines Exportgesuchs auf den Plan.
Plutschow untersucht in seinem Werk (Plutschow, Mathias H.: Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, Zürich 2002), ob diese Maßnahme in Form eines Vorkaufsrechtes ein geeignetes rechtliches Mittel zum Schutz der Kulturgüter darstellt.
Kann dieses Vorkaufsrecht bei der Rückgewinnung abhanden gekommener Kulturgüter dienlich und prädestiniert sein, den illegalen Handel mit dem kulturellen Erbe auf nationaler und internationaler Ebene zu unterbinden ?
"Soweit ersichtlich, wurde staatsvertraglich ledigich im Abkommen zwischen Monaco und Frankreich ein gegenseitiges Vorkaufsrecht normiert. Die übrigen untersuchten Staatsverträge betreffen Vorkaufsrechte nur indirekt, indem Regeln über die illegale Ausfuhr auch einen Export unter Umgehung des Vorkaufsrechts beinhalten. Die Staatsverträge verfolgen einen erstrebenswerten Zweck, indem Kulturgüter, die illegal in ein anderes Land verbracht werden, zurückzugeben sind. Darunter dürften insbesondere diejenigen Staatsverträge Erfolg versprechen, die unmittelbar anwendbar sind. Aber auch bei den Staatsverträgen gilt es zu beachten, dass das Ziel des Kulturgüterschutzes nur erreicht werden kann, wenn tatsächlich einzig zentrale Kulturgüter geschützt werden." ( Zit., Plutschow, S. 315 )
© Ulrike-Christiane Lintz, 01.03.2007