Museologie
Museum Spiegel der Nation ?
"Die Erbse jedoch kam in die königliche Kunstkammer ...". So endet Hans Christian Andersens Märchen von der Prinzessin auf der Erbse und provoziert nicht nur bei einem Kind die Frage nach dem Wesen einer "Kunstkammer", sondern auch nach dem Besonderen des Sammelns an sich, nach dem Bewahrenswerten einer Gesellschaft, nach der Aussagekraft von Exposita und deren möglicher Instrumentalisierung für Macht und Repräsentation, kurz: nach der "Musealität".
(Auszug aus Raffler, Marlies, Museum. Spiegel der Nation? Zugänge zur Historschen Museologie am Beispiel der Genese von Landes- und Nationalmuseen in der Habsburgermonarchie. Wien: Böhlau Verlag 2008, Vorwort, S. 5)
Kommunikation, Kulturtransfer und Vernetzung
Ein wesentliches Kriterium in der Definition von Wissenschaft sind die intersubjektiv verständliche Weitergabe und der Austausch von Ergebnissen. Diese Ergebnisse müssen von einer "scientific community" akzeptiert, falsifiziert oder zumindest wahrgenommen werden. Die "scientific community" findet in der Frühen Neuzeit ihr Pendant in der "Gelehrtenrepublik". Beiden gemeinsam ist der hohe Grad an Vernetzung und wissenschaftlicher Kommunikation. Zum einen war das frühneuzeitliche Medium der Brief, zum anderen waren und sind es bis heute persönliche Kontakte (vor allem unter Künstlern und Gelehrten). Zum Teil waren sie Ergebnis einer in hohem Maße ausgeprägten Mobilität, die von der Renaissance bis zum Barock das Wissenschaftsleben noch stärker als heute bewegte. Zu denken ist dabei etwa an die italienisch-deutschen Beziehungen , die sich - vor allem im ausgehenden 15. Jahrhundert - an den Künstlern und Studierenden aus deutschen Städten (z.B. Augsburg oder Nürnberg) in Italien ebenso festmachen lassen wie an den Handwerkern, Baumeistern oder Buchdruckern. Daraus resultieren alle Formen von Geschenk und (freundschaftlicher) Kenntnisvermittlung, die zu den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse und institutinalisierter Gelehrsamkeit gehören.
Aus dieser Diskussion ergibt sich die Fragestellung, in welchem Maß und in welcher Form Sammlungen zum Erkenntnisgewinn und/oder zur "Verlagerung" von Wissen gerade in einer Zeit beitrugen, "in der die Erfahrung zu einer Art von Beweis wurde und dadurch eine aktive Rolle bei der Konstruktion gleichsam axiomatischer Prinzipien gewann. In diesem Zusammenhang drängt sich der Ansatz des "Kulturtransfers" auf. Die Kulturtransferforschung bezieht ihre Anregungen einerseits zumeist aus Ethnologie und Kulturanthropologie, welche sich mit der Übertragung und Aneignung von kulturellen Objekten und Praktiken in Wechselwirkung von europäischen und außereuropäischen Gesellschaften beschäftigen, sowie andererseits aus der Intertextualitätsforschung. Nach H. Mitterbauer umfasse Kulturtransfer sowohl inter- als auch intrakulturelle Wechselbeziehungen, er schließe Reziprozität ein und lenke den Blick auf die Prozessualisierung des Phänomens. Diese Ausgangslage führt zum Dreier-Schema: Ausgangskultur - Vermittlungsinstanz - "Zielkultur". Versucht man dieses Schema auf historische Fragestellungen anzuwenden, zeigt sich derartiger Differenzierungsbedarf rasch: höhere Komplexität der Fragestellung verlangt nach Einführung neuer Kategorien: Selektionsmodi, Formen der Aneignung, kreative Rezeption, soll heißen: Entwicklung neuer Ansätze auf der Basis von anerkannt Übernommenem. In Anlehnung an die Definition von Michel Espagne und Michael Werner wird dies verstanden als die Übertragung eines wissenschaftlichen, philosophischen oder überhaupt ideologischen Denksystems (von A nach B); der Weg von A nach B ist nur durch eine Rekonstruktion von Seiten des Empfängers verständlich, der durch die Einfuhr fremder Vorstellungen auf eine besondere "Konjunktur" reagiert.
Kultur"transfer" kann im vorliegenden Kontext, wie in einer Punktation zu systematisieren versucht wurde, von verschiedenen Ausgangslagen her realisiert werden: nach dem "Freund-Feind-Schema": neue politische Konstellationen, Pakte, Bündnisse eröffnen neue Zugänge; face to face - also über persönliche Kontakte; durch "kriminelle" Machenschaften ("Betriebsspionage"), das Abwerben von Künstlern etc., durch konvetionellen Handel und Tausch, gezielte Wissens- und Kunsteinkäufe (r); als zusätzlicher Gewinn bei der Rohstoffsuche; durch (unbewusstes) Übernehmen älterer Traditionen; durch (bewusste) Rezeption, z.T. gekoppelt mit Selektion; durch imitatio von Nicht-Erreichbarem.
Im folgenden sollen - in Ergänzung zu den an anderer Stelle der Studie zitierten Möglichkeiten - anhand ausgewählter Quellen zur Geschichte der Landes- und Nationalmuseen verschiedene Arten von Kontakten herausgearbeitet werden:
- Die Verwobenheit von Weltanschauung, Ausbildungszentren und Lehrer-Schüler-Verhältnis;
- persönliche Freundschaften zwischen Exponenten des Musealwesens sowie personelle Verflechtungen und Netzwerke zwischen den Museen;
- die Rolle von Förderern und Gönnern sowie Funktonen und Konzepte einzelner Custoden;
- die Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Vereinigungen, der "Literarische Verkehr mit anderen Gelehrten, Academien und Vereinen";
- die Akzeptanz der Museen und, damit eng verbunden, ihre "mediale" Präsenz.
Die Summe der Einzelbeobachtungen bietet vorläufig nur Impressionen, keine Gesamtschau von Netzwerken im frühen 19. Jahrhundert. Diese ergeben sich zum einen aus der Herkunft der Trägerschichten: beinahe ausnahmslos wirkten Mitglieder des europäischen Hochadels als Museumsgründer und wurden damit zu Trägern einer in der Ausrichtung "bürgerlichen" Institution. Von einem weitgehend einheitlichen Bildungshorizont ausgehend agiert die Stiftergeneration "kosmopolitisch". Nationale Zugehörigkeit spielt in diesen Kreisen keine Rolle.
Zum zweiten ergeben sich Kontakte aus der Position und Persönlichkeit der Custoden. Diese waren zumeist Wissenschaftler, eingebunden in ein internationales Netzwerk von Gelehrten, einer scientific community. So ist der "Literarische Verkehr mit anderen Gelehrten, Academien und Vereinen" am Beispiel des Böhmischen Museums und des Ungarischen Nationlmuseums näher unterscht worden. Von großer Bedeutung sind vor allem naturwissenschaftliche Vereine als Informationsträger, wie dies M. Klemun für das Mineraliensammeln anhand der Person von Siegmund Zois gezeigt hat.
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(Auszug aus Raffler, Marlies, Museum. Spiegel der Nation? Zugänge zur Historischen Museologie am Beispiel der Genese von Landes- und Nationalmuseen in der Habsburgermonarchie. Wien: Böhlau Verlag 2008, Kap. 7: Kommunikation und Vernetzung, S.311-313)