Historische Archäologie
Ein Versuch der methodologischen Grundlegung der Archäologie als Geschichtswissenschaft
Entwicklung eines methodologischen Gesamtkonzeptes der Archäologie als Geschichtswissenschaft
In der vorliegenden Arbeit wird nun zum ersten Mal der Versuch unternommen, ein methodologisches Gesamtkonzept der Archäologie als Geschichtswissenschaft zu formulieren. Ausgehend von einer umfangreichen quantitativen Untersuchung des weiten Quellenspektrums der Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit wird das "historische Potenzial" der materiellen archäologischen Quellen erstmals einer systematisierenden Betrachtung unterzogen. Eine parallel dazu durchgeführte Untersuchung der mittelalter- und neuzeitarchäologischen Interpretationspraxis gibt Einblick in produktive sowie eher problematische Elemente der bislang noch weitgehend unreflektierten Deutungspraxis unserer Disziplin.
Gestützt auf eine umfassende Diskussion der Forschungsgeschichte und in intensiver Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Grundfragen historischen Arbeitens kann in vorliegender Arbeit schließlich ein konsistentes Methhodengebäude einer archäologischen Geschichtswissenaschaft vorgeschlagen werden. Unabhängig von den aus historischer Sicht eher reserviert zu beurteilenden Konzepten der theoretisierten anglophonen Archäologie, wird in vorliegender Arbeit ein eigenständiger, innovativer und zugleich den hiesigen Wissenschaftstraditionen verpflichteter Weg zu einer historischen Archäologie beschritten - eine ausgezeichnete Basis für den längst überfälligen Einstieg in die Diskussion über die Grundlagen der Archäologie als historischer Wissenschaft.
Von der Quelle zur historischen Edition
Materielle Hermeneutik im Archäologischen Prozess
"Thus, the separation of observation and interpretation in time and space becomes an invalid and redundant exercise. It is now seen as creating an unnecessary cleavage in interpretive practice. This necessitates the collapse of the sequence of excavation, post-excavation and report-writing; they are now part of a unitary project and cannot be seen as isolated components."
Colin Richards (1995)
In Abb. 83 wird versucht, den archäologischen Prozess von der Ausgrabung zur Publikation gemäß den Grundlagen der in den letzten Kapiteln entwickelten materiellen Hermeneutik zu skizzieren. Dreh- und Angelpunkt des Schaubildes ist die durch verschiedene Orangetöne gekennzeichnete Interpretation des handelnden Archäologen als einzige in den gesamten "archäologischen Prozess" involvierte Repräsentation der archäologischen Quelle. Sie leitet in Form einer nicht in vollem Sinn quellenadäquaten vorläufigen Interpretation den Planungs- und Ausgrabungsprozess (im Schaubild hellorange), sie organisiert die Auswertung der während der Grabung erstellten Dokumentation (orange) und entscheidet über Struktur und Inhalt der abschließenden Publikation (rotorange), welche wiederum die Möglichkeiten der ihr anschließenden fachlichen Diskussion bestimmt. Wegen der Einmaligkeit jedes materiellen Zugriffs (dargestellt durch schmale Verbindungsbalken) auf die originale Bodenquelle kommt der Planungs- und Ausgrabungsphase auch im Bezug auf das Ganze eine grundlegende Rolle zu. In ihrem zentralen Bereich gibt das Schaubild die in Abb. 60 dargestellte heuristische Struktur der materiellen Hermeneutik als Methode der Quellenwerterschließung in vereinfachter Form wieder. Dieser Teil, insbesondere die eigentliche Auswertung der Dokumentation, soll jedoch im siebten Kapitel keine Hauptrolle mehr spielen; es geht zuvorderst darum, die in der Praxis häufig konzeptionell wie personell eigenständigen Bereiche der Grabungsplanung und Ausgrabung als elementare Bestandteile des Gesamtprozesses darzustellen. Wenn Abb.83 ganz entgegen der allgemeinen Praxis alle vier Stufen des archäologischen Prozesses provozierend in einen "hermeneutischen Topf" wirft (s. o.), ihnen also personelle Identität/Kontinuität der wissenschaftlichen Leitung unterstellt, soll damit schon auf eine bedeutsame Inkongruenz von (gegenwärtiger) Praxis und (reiner) Theorie hingewiesen werden, welche praxisnaher und theoriegerechter Lösungen bedarf.
Schließlich treten im Bereich der Publikation Probleme auf, die in der bisherigen Argumentation keine Rolle spielten: Während die eigentliche Erkenntnisfindung - idealisiert gesprochen - noch auf eine Formalisierung des ganzheitlichen Verständnisses verzichten kann, muss diesem in der Veröffentlichung eine in erster Linie schriftliche Form gegeben werden. Der edierende Archäologe kann sein komplexes Verständnis der Quelle nur dann kompromitiert vermitteln, wenn er es in die Form einer (multimedial illustrierten) Schriftquelle gießt. Damit aber ist eine weitere Stufe der Formatierungsprozesse, die definitive Formation verbunden, deren Bedingungen erörtert und vom Editor wie von der kritischen Fachwelt verstanden und berücksichtigt werden müssen.
(Auszug aus Kap.7.1, ibid., S. 295-297.